Kritikwirklichkeit

Auf Abruf finden Sie Einzelkritiken bestimmter philosophischer Grundpositionen, die geschichtlich oder gegenwärtig von Bedeutung sind. Das Kriterium ist immer das explizit oder implizit zugrunde liegende Wirklichkeitsverständnis, das in metaphysischer Verantwortungsübernahme vertreten werden muß. Wenn Wirklichkeit philosophisch erforscht, und geklärt werden muß, wenn man sich in ihr orientieren muß und dazu zunächst selbst besinnen, um metaphysisch Urteile letztendlich fällen zu können, dann ist das Universum der legitimen Kritik die prinzipiell einlösbare intersubjektive Evidenz wo auch immer. Dazu die folgenden Erläuterungen:

Kritik in letzter metaphysischer Verantwortung aller Praxis orientiert sich an intersubjektiv evidenter Konsensfähigkeit so, daß die Kriterien dafür für sich selbst stehen. Vernunft allein und keine andere Instanz ist Ursprung dessen, was wir allgemein für einsichtig jedermann unterstellen können. Indem wir potentielle Vernunft unterstellen, beschwören wir die Einheit der Menschheit. Außerhalb der Vernunft gibt es nur Irrationalitäten, die in Gewaltverhältnisse münden

Seitdem das abendländische Denken das Magische im Mythos zu bannen suchte, dann den Mythos im Übergang von Homer zu Hesiod einheitlich zu denken begann, fragt es weitestgehend nach dem Sinn von Wirklichkeit in diesem oder jenem besonderen Zusammenhang. Wenn heute nach dem Sinn von Wirklichkeit überhaupt gefragt wird, läßt sich rückblickend die Geschichte des abendländischen Denkens als die allmähliche Annäherung an ein immer umfassenderes Wirklichkeitsverständnis rekonstruieren, was einer wahrhaftigen Philosophiegeschichte ihren Gegenwartsort verschafft, weil ein konsensfähiger Rückblick seinen roten Faden finden kann.

Wenn in letzter Instanz Wirklichkeit der Bezugspunkt für das Ganze ist, bewährt sich eine konsensfähige Philosophiekritik in der Frage nach dem grundlegenden Wirklichkeitsverständnis der einzelnen Philosophien und Philosophen in ihrer jeweiligen Zeit. Es müssen explizite oder implizite Widersprüche aufgespürt werden, weil Wirklichkeit mit etwas Wirklichem verwechselt wird, ohne es zu bemerken.

Wenn Wirklichkeit selbst mit Teilwirklichkeiten verwechselt wird, bleiben Unvereinbarkeiten. Große Philosophie unterschlägt dabei in ihrer Teilwirklichkeit offene Fragen und unbegriffene Restbestände nicht, kleine Philosophie hingegen verabsolutiert Teilausschnitte so, daß vermeintlichen absoluten Wahrheiten allesWiderstrebende gefügig gemacht wird.

Unbedingtes Kriterium für Wirklichkeitsbeurteilung ist Wahrheit die als Begriff "in Wirklichkeit" expliziert werden kann, als absolutes Wissen in der Welt niemals Besitz sein kann, vielmehr immer nur aufgegeben ist. Ein klarer Wahrheitsbegriff als Voraussetzung dafür, identisches meinen zu können, ist eine Sache, ein Wissen aller möglichen Wahrheiten "in Wirklichkeit" eine andere. Ohne Wahrheit als Maßstab gibt es keine Erkenntnis,ohne Erkenntnis aus Erfahrung aber auch keine Wahrheit.

Wahre Erkenntnis ist objektive Erkenntnis. Die Kriterien für Objektivität folgen dabei "in Wirklichkeit" (allgemein) und "in Wahrheit" (im Besonderen) direkt aus der Analyse der Wirklichkeit als intersubjektiv evidente Realitä: Gedanklich ist auf die präzise Explikation der Prämissen zu achten, empirisch auf die Kontrollierbarkeit aller Implikationen und Folgerungen für jedermann.

Wahre Objektivität ist kritische Objektivität, insofern sie sich aus einem kommunikativen Zusammenhang heraus in Kontext und Situationsabhängigkeit zureichend rekonstruieren lassen muß, um intersubjektiven Geltungsanssprüchen zu genügen. . Kritische Objektivität gründet stets stets in einem konkreten Diskurs, für den sich reflexiv abstrakte Metaregeln rekonstruieren lassen. Diskursregeln klären Zusammenhänge, sie konstituieren sie nicht.

Als Minimum kommunikativer Diskursregeln kann festgehalten werden, daß a) in letzter Instanz allein die besseren Argumente gelten, b) nicht nur meine eigenen Argumente die besseren sein müssen, c) ein Minimum an Spielregeln das Argumentieren entscheidbar machen müssen, d) ein ideologischer Totalansatz für die Begründung dieser Spielregeln zu einem Selbstwiderspruch führt und schließlich, daß e) der willentliche Verzicht auf die argumentative Auseinandersetzung einer Niederlage im Diskurs gleichzusetzen ist, weil er die Tür frei macht für alles andere, auch für jederzeit drohende Ideologien, Lügen und Gewalthandlungen.

Generalisierter Diskurs ist philosophische Krik als Ideologiekritik, im weitesten Sinn, die den Sinn von Bedeutungen logisch klärt und den normativen Anspruch grundsätzlicher Behauptungen präzisiert. Ideologiekrtitik erhellt die Grenzen des intersubjektiv evidenten Sagbaren so, daß überzogene Verallgeinerungen und Geltungssprüche aufgedeckt werden.

Ideologiekritik ist immer auch Kulturkritik im Interesse von Aufklärung in allen Lebensbereichen. Als solche geht es ihr ethisch um aktuelle Wirksamkeit zur Steigerung von Wahrhaftigkeit der Lebenswirklichkeit. Wirklichkeitsaussagen konkurrierender Weltanschauungen werden dabei nicht nur in ihrem analytischen Aussagengehalt geprüft und beurteilt, sondern auch vom historischen Kontext her auf innere Konsistenz und jeweils praktische Relevanz.

Kulturkritik als Aufklärung im Dienst von Wahrhaftigkeit ist gegenwartsbezogen normalerweise Moralkritik im Dienst der Steigerung von Selbstreflexion und Verantwortlichkeit. Als Moralkritik ist Wirklichkeitskritik aktuell permanent gefordert, weil die Unwahrheit öffentlich meist im Gewand der Moral daher kommt.

Philosophische Kritik als Moralkritik ist im politischen Alltag unentbehrlich und hält ihm den Spiegel vor. "In Wirklichkeit" reflektierte Moralkritik setzt die grundsätzlichen Maßstäbe für die aktuelle politische Tageskritik, weil sie parteipolitsch neutral ist, (insofern es ihr nur um die Glaubwürdigkeit der Repräsentanten geht), und weil sie sich dabei um eine Objektivität und Grundsätzlichkeit bemüht, die der politische Alltag nicht zuläßt.

Moralsensible Tageskritik entlarvt sachliche Unstimmigkeiten und Aufrichtigkeit der Menschen konstruktiv , insofern sie im Sichtbarmachen der Defizite keinen destruktiven Selbstzweck sieht, sondern im Blick nach vorn die Möglichkeiten von Besserung, Neuaufbau und Neuanfang nicht nur mitbedenkt, sondern zur eigenen Selbstrechtfertigung bemüht. Die bekannten großen Meister der Ideologieekritik, Marx, Nietzsche und Freud, genügen aus eigener ideologische Befangenheit diesem Ansspruch nicht.

Immanuel Kant hat mit seinen drei gr0ßen Kritiken gezeigt, was konstruktive Kritik ist. Theoretisch hat er Kriterien der Objektivität geklärt, praktisch exemplarisch demonstriert, wie Klarheit im Grundsätzlichen für konkrete Praxis fruchtbar gemacht werden kann: Wenn Kant z.B. nach den Bedingungen der Möglichkeit eines "ewigen Friedens" fragt, verschafft ihm die Verfügung über den geklärten Begriff auch die praktische Basis dafür, den Willen vernünftig zu bilden und konstruktive Friedensratschläge zu geben.

Gute Theorie ist nach Kant jederzeit auch praktisch gut, guter Praxis liegt jederzeit eine gute, explizierbare Theorie zu Grunde. Insofern wahre Wirklichkeitskritik theoretisch und praktisch zugleich ist, dient sie selbst als Ferment jener dialektischen Einheit von Theorie und Praxis, die in der Nachfolge Hegels immer wieder vergeblich nur theoretisch eingeklagt, praktisch aber verfehlt wurde. Denn die wahre Dialektik einer Einheit von Theorie und Praxis verlangt einen Einblick in die Wirklichkeit von Dialektik, es genügt nicht ein Bild der Wirklichkeit durch die Brille der Dialektik.

Alle bisherige Theorie der Kritik ist Ideologie, insofern sie die Wirklichkeit verfehlt, vor der allein berechtigte Kritik unabhängig und objektiv sein kann. Keine sogenannte "Kritische Theorie" ist deshalb bis heute ihren eigenen Ansprüchen gerecht geworden.

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Im Folgenden finden sie Einzelritiken, die das Wirklichkeits- , gelegentlich auch Wahrheitsverständnis ausgesuchter Autoren möglichst kurz (maximal zwei Seiten) auf den Punkt zu bringen suchen.

Wirklichkeitsverständnisse kritisch beleuchtet:

1. Jürgen Habermas, 2. Karl Jaspers, 3. Immanuel Kant, 4. Max Weber.

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Dem Folgenden entnehmen sie zur Möglichkeit des Vergleiches Namen, mit denen bekannte Philosophen ihrerseits sinngemäß das benannten, was hier Wirklichkeit heißt.

Andere (exemplarische) Wirklichkeitsbezeichnungen:

Theodor W. Adorno: Das Nichtidentische (für das Negieren)

Anselm von Canterbury: "Das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann" (für Vernunft)

Aristoteles: Physis=Natur (für nous=Geist)

Augustinus: Deus trinitatis=Dreieiniger Gott, (für die dreieinige Seele)

Francis Bacon: Schöpfungsgeheimnis (für Lernen)

Ernst Bloch: Das Nochnicht-Sein (für utopisches Bewußtsein)

Ernst Cassirer: Kultur (für Verstehen)

August Comte: Naturgesetze (für Wissenschaft)

Donald Davidson: Sprachspiele (für Interpretationen)

René Descartes: Res ultima (für res cogitans)

Denis Diderot: Sinnliche Natur (für Naturwesen)

Wilhelm Dilthey: Lebenswelt (für Verstehen)

Meister Eckhart: Sein in Gott (für Seinsmitteilung)

Epikur: Atome (für Empfindungen)

Johannes Eriugena: Daß-Sein (für ebenbildliche Kreatur)

Johann Gottlieb Fichte: Das Ich (für Selbstreflexion)

Gottlob Frege: Objektive Welt (für Wahrheitswillen)

Hans Georg Gadamer: Text (für Horizont)

Johann Wolfgang von Goethe: Natur (für Geist)

Jürgen Habermas: Wahrheit (für Kommunikation)

Friedrich Georg Hegel: Geist (für Reflexion)

Martin Heidegger: Sein des Seienden (für Dasein).

Thomas Hobbes: Schöpfungsmaschine (für Freiheit)

David Hume: Sinnlichkeit (für Erfahrung)

Edmund Husserl: Phänomenalität (für Erleben)

Karl Jaspers: Umgreifendes (für Vernunft), Transzendenz (für Existenz).

Immanuel Kant: Ding an sich (für den Verstand), Realität (für das Dasein), Natur (für die urteilende Vernunft)

Sören Kierkegaard: Existenz (für selbstreflektiertes Gewissen)

Hermann Krings: Wirkliche Transzendenz (für wirkliches Erkennen)

Thomas S. Kuhn: Paradigmen (für historische Weltbilder)

Gottfried Wilhelm Leibniz: Monade (für Monade)

John Locke: Naturwelt (für Urteilswelt)

Konrad Lorenz: Außenwelt (für ratiomorphen Apparat)

Niklas Luhmann: Systemwelt (für Außenbeobachter)

Francois Lyotard: Le Différend=der Widerstreit (für Satzbildung)

Ernst Mach: Sinnesdaten (für Wahrnehmung)

Karl Marx: Gesellschaft (für geschichtliches Bewußtsein)

Marvin Minsky: Information (für Gehirn)

Friedrich Nietzsche: Lebenswille (für ästhetisches Wollen)

Nikolaus von Kues: Die absolute Einheit, die keinen Gegensatz hat als das absolut Größte (für endliches Transzendieren)

Paulus: Jesus Christus (für Glauben)

Platon: To on=Sein (für psyche)

Plotin: To hen (Eines) (für Geist)

Karl R. Popper: Realität (für Theorie)

Heinrich Rickert: Das Geltende (für Kulturwesen)

Jean Jaque Rousseau: Weltnatur (für Individuum)

Betrand Russell: Welt, (für die Erkenntnis)

Friedrich Georg Schelling: Geistige Natur (für spekulatives Bewußtsein)

Arthur Schopenhauer: Willensleben (für Verstand)

John Searle: Erscheinungshaftigkeit (für intentionales Bewußtsein)

Seneca: Naturnotwendigkeit (für Schicksal)

Baruch de Spinoza: Natura naturans (für natura naturata)

Thomas von Aquin: Schöpfung (für Geschöpf)

Ludwig Wittgenstein: sprachliche Wirklichkeit (für Denken)

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Letzte Änderung dieser Seite: 24.10.2003



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