Immanuel-Kant Gymnasium
schr. Abitur 2001
Philosophie 1. Semester
Grundkurs
Peter Dörsam
Thema:
Frieden
Problemstellung:
Wer Frieden stiften will, muß nicht nur Frieden wollen, er
muß auch wissen, was Frieden ist. Die abendländische Geschichte,
von den Griechen und Römern angefangen über das Christentum und die
Neuzeit, den Westfälischen Frieden bis hin in unsere Gegenwart liefert
eine lange Kette von Beweisen dafür, daß immer wieder Frieden nicht
nur nicht gewollt, sondern auch, wenn gewollt, ungewollt mißverstanden
wurde. Hier muß Philosophie, (wer sonst?), Klarheit schaffen. Immanuel
Kant hat das Verdienst, in seiner Spätschrift Zum ewigen Frieden
erstmals explizit Bedingungen der Möglichkeit von Frieden im völkerrechtlichen
Sinn analysiert zu haben. Frieden aber lediglich als Abwesenheit des Krieges
zu begreifen, - Kant ließ sich da nicht täuschen -, hat sich seither
als zu wenig erwiesen, weil auch bei äußerem Frieden immer noch der
Nährboden für neue Kriege fruchtbar bleiben kann. Umgekehrt, will
Frieden jeglichen inneren Frieden (als innere Freiheit usw.) miteinschließen,
bleibt die Definition zu weit, mithin uferlos utopisch, zumal dann auch leicht
originäre Konflikte nicht mehr gelöst, sondern unterdrückt werden.
Ein Kurzvorschlag unter anderen lautet deswegen: Frieden, insofern er erfolgreich
machbar ist, meint Herrschaft des Arguments!
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Aufgaben:
1) Inwiefern ist Ihres Erachtens Frieden machbar, inwiefern nicht?
Wie muß das Wesen des Menschen (im bestimmten Unterschied etwa zu den
Tieren) und des Bösen gedacht werden, um Frieden als machbar zu behaupten?
2) Wieso soll Herrschaft des Arguments Frieden bewirken können? Hat Frieden
überhaupt etwas mit Herrschaft zu tun? Und wie steht es um die Friedlichkeit
von Argumenten? Hat uns bei diesen Fragen eventuell Kant etwas zu sagen?
3) Prüfen Sie an Hand von Beispielen vergleichend die Tragfähigkeit
von Frieden meint Herrschaft des Arguments an alternativen Definitionen,
so etwa wie: Frieden sei a) Gewaltfreiheit (Pazifismus). b) Herrschaft der Wahrheit,
c) Herrschaft des Vertrauens, d) Herrschaft der Liebe! Definieren Sie in diesem
Zusammenhang den Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik (Max
Weber)!
4) Wie bewährt sich ihres Erachtens, wenn ja, Herrschaft des Arguments
als friedensstiftend im unbedingten Dissens und Konflikt (von z.B. Religionen,
Ideologien), gleich wie im Kampf mit unfriedlichen oder gar böswilligen
Argumenten? Gibt es dafür konsensfähige Spielregeln?
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Zu 1:Frieden als äußerer Frieden ist in der konkreten Situation
faktisch machbar (siehe Westeuropa seit 1945), nicht aber als Grenzsituation
(Jaspers) in dem Sinn, als daß er nicht jederzeit bedroht wäret.
Im Unterschied zu allen Tieren, deren Orientierung von der Natur durch Instinkte
festgelegt ist, hat der Mensch sein Stirnhirn bekommen, das ihn (in bedingter
Freiheit) reflexiv auf Vernunft und Orientierungswissen verweist. Auf Gene und
Umwelt allein angewiesen, wäre Frieden nicht machbar. Wird Vernunft unreflexiv
im vermeintlichen Besitz einer absoluten Wahrheit (Fanatismus, Fundamentalismus,
Ideologie) verküzt, oder liegt das Stirnhirn als Orientierungsorgan brach
(Mitläufer), entsteht der Nährboden des Bösen als im Extrem die
unbedingte Lüge im egostischen Setzen auf Gewalt. Der Mensch fällt
dann unter das Tier, das des Bösen nicht mächtig ist
Zu 2): Herrschaft des Arguments bewirkt Frieden durch freiwillige Überzeugung.
Weil Macht und Gewalt, mithin Herrschaft als Grenzsituation ebenfalls zur Realität
gehören, also nur faktisch beherrscbar bzw. minimalisierbar sind, gilt
es, zum Frieden die Herrschaft zu finden, die für sich selbstevident friedlich
ist. Über freiwillige Überzeugung hinaus aber gibt es nichts, was
diese Leistung sonst noch erbringen könnte, ohne denkbaren Widerstand zu
provozieren. Herrschaft des Arguments unterscheidet sich von bloßer Herrschaft
der Personen, Prinzipien, Traditionen, Vorschriften, Gewaltumstände usw.
unbedingt durch kommunikative Offenheit und sachliche Transparenz, ohne für
alles andere bei vernünftiger Begründung und freiwilliger Zustimmung
nicht auch bedingt Verwendung haben zu können. Will diese Transparenz aber
nicht in postmoderne Beliebigkeit, gar Anarchie ausarten, bedarf es eines argumentativ
konsensfähigen vernünftigen Grund- und Orientierungswissens als Reflexionsbasis
für letzte Argumente. Genau diesem Zweck dient Kants transzendentale Philosophie.
Sie postuliert deswegen auch folgerichtig den Ewigen Frieden in der Phiosophie
(1797). Kant wußte übrigens auch im Blick auf das radikale Pflichtgebot
des Kategorischen Imperativs: Der Mensch ist ein Tier, das .....einen
Herrn nötig hat! (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher
Absicht, sechster Satz).
Zu 3): Überall kommt es im Konfliktsfall, ohne mögliche argumentative
Vermittlung als Letztinstanz, faktisch zu Widersprüchen oder irrationalen
Begleiterscheinungen. Pazifistische Gewaltfreiheit (so noch Johan Galtung und
in dessen Gefolge die jüngste deutsche Friedensbewegung bis hin zu Teilen
der Friedenswissenschaft) schafft unfreiwillig den Freiraum für beliebige
Gewalt, Unbegründeter Wahrheitswille wird intolerant, blindes Vertrauen
schlägt im Entäuschungsfall in Haß um, grenzenslose Liebe sieht
sich mit unliebsamen Nebenfolgen konfrontiert. Umgekehrt kann durch Herrschaft
des Arguments Gewalt vernünftig kontrollierbar werden, Wahrheit zu ihrem
absoluten Recht kommen, Vertrauen (Gorbatschow!) seinen festen Halt finden und
Liebe in Achtung ihr notwendiges rationales Korrektiv. In allen diesen Fällen
handelt es sich um Gesinnungsethik im Weberschen Sinn, weil die Prämissen
selbst in der konkreten Handlungssituation nicht mehr ihrerseits auch noch verantwortet
werden. Herrschaft des Arguments aber heißt unbedingte Verantwortlichkeit
als unhintergehbare Letztprämisse allen Sollens und aller Ethik.
Zu 4): Herrschaft des Arguments sichert die gegenseitige Achtung auch
dann, wenn inhaltlich grundsätzliche letzte Meinungsverschiedenheiten bleiben.Für
böswillige Gegnerschaft oder trickreiche Betrüger gilt der Reihe nach:
a) Wer nicht argumentiert, setzt auf Suggestion und Gewalt und bleibt deshalb
als Irrationalist der Friedensfeind und Gegner schlechthin. Wer b) nur dogmatisch
seine eigenen Argumente gelten läßt, mißachtet die Realitäten
und muß begründet kritisiert werden. Wer c) keine diskursiven Sprachregeln
akzeptiert und Wahrheit relativiert, ist als Rechthaber zu entlarven. Wer d)
nur auf dem Boden einer geschlossenen Weltanschauung Wahrheit gelten lassen
will und deren Sinn mithin problematisch einschränkt, den gilt es, als
Ideologen zur philosophischen Selbstkritik zu bringen. Wer sich schließlich
e) um Argumente gar nicht kümmert, den muß man an die möglichen
verantwortungslosen Folgen dieser Haltung in aller Namen, nicht nur dem des
Friedens, erinnern. Hier ist Aufklärung am Platz! Sollte der Schüler
in allem ganz anderer Meinung sein, kann er das argumentativ beweisen!!!!!!