Intersubjektiv Wirkliches ist nur eine Seite der Wirklichkeit, daneben kann sich das Subjekt auf sich besinnen, die Welt kann erforscht werden, in der Lebenswelt gilt es, sich zu orientieren, und über das Ganze und seinen Sinn kann nachgedacht werden. Diese unterschiedlichen Wirklichkeitszugänge sind wechselseitig so unvertretbar wie aufeinander angewiesen. Unser alltäglicher Wirklichkeitsbezug bewegt sich stets vorrangig in einem dieser Bezüge, ohne daß dabei die anderen gänzlich abwesend wären oder ungestraft verleugnet werden dürften.
Wie kann es noch andere Wirklichkeitszugänge geben neben dem intersubjektiven Seinszugang?
Wieso soll das erstaunlich sein? Wenn wir die Wirklichkeit als etwas Wirkliches als Sein identifizieren, setzen wir doch immer etwas voraus, zu dem es notwendiger Weise andere Zugänge geben muß!
Aber wie kann es Zugänge neben dem Denken geben?
Vorsicht! Der Alltagsmensch denkt auch, es wird auch dort überall gedacht, wo man nicht direkt philosophiert. Bei der Seinsbestimmung handelt es sich doch um ein ganz besonderes Denken: Gesucht wird, was Wirklichkeit für alle ist. Man denkt aber z.B. auch dann, wenn man Wirklichkeit nur für sich selbst denkt. Und Wirklichkeit für sich selbst wäre noch keine notwendige seinsbegriffliche Wirklichkeit.
Wie kann es aber doch noch andere Zugänge zur Wirklichkeit neben dem Seinsdenken geben?
Das Seinsdenken selbst ist ja nur möglich, wenn die Wirklichkeitsbedeutungen zur Kenntnis genommen werden Wie sollte ein Seinsdenken ohne Weltwissen möglich sein, ohne subjektive Aneignung und Verarbeitung, ohne vergegenwärtigende Situierung und ohne ein jeweilige, wenn auch nur vorläufiges Bild vom Ganzen?
Aber es ist doch klar, daß der intersubjektive Zugang zur Wirklichkeit der primäre ist!
Eben nicht, wie sollte er auch? Könnte es nicht sein, daß ich meditativ der unhintergehbaren Wirklichkeit viel näher kommen kann, denn im drögen Formalismus begrifflicher Zuordnungen? Und wie steht es um große politische Entscheidungen, die für die Zukunft ganzer Generationen die Weichen stellen, wie um revolutionäre wissenschaftliche Forschung, die ungeahntes Neues über die Wirklichkeit zu Tage fördert oder wie auch um große Metaphysik, die dem Denken langfristige neue Horizonte eröffnet?
Aber der intersubjektive Zugang liefert doch unseren gültigen Orientierungsrahmen der Wirklichkeit!
Er liefert ihn in nachvollziehbarer Weise, aber nur im Grundsätzlichen und im Nachhinein. Bewußtseinserlebnisse, Forschungsergebniss, existenzielle Entscheidungen oder auch Seinsspekulationen lassen sich von intersubjektivem Orientierungswissen nicht direkt, höchstens indirekt beeinflussen.
Was heißt hier direkte und indirekte Beeinflussung?
Direkte Beeinflussung wäre Befolgung von Zielsetzungen, Richtlinien oder Normen. Indirekte Beeinflussung meint lediglich, daß bei jeder eigenen Wirklichkeitswahrnehmung ein bestimmtes Orientierungswissen in der vorausgesetzten Sprachbildung oder dem begleitenden Hintergrundwissen bewußt oder latent präsent ist, ohne selbst auschlaggebend sein zu müssen.
Aber auch bei nur indirektem Einfluß ist doch das Seinswissen der Königsweg zur Wirklichkeit!
Aber was heißt jetzt wieder Königsweg? Der meditierende buddhistische Mönch wird wohl schwerlich von der Meinung abzubringen sein, daß seine "Seinserfahrung" dem Königsweg zur Wirklichkeit folgt, der Forscher wird nur auf Experiment und Kontrolle setzen, der Praktiker auf die permanent anstehenden Entscheidungen, vor denen man nicht den Kopf in den Sand stecken darf und der Metaphysiker oder Religiöse wird auf die Bedingtheit alles Endlichen verweisen und den Königsweg immer im Blick auf das Ganze einklagen!
Aber trotz alledem sagt doch das, was "ist", was die anderen Wirklichkeitszugänge nur simulieren können!
Genau umgekehrt! Das, was ist, simuliert das, was durch andere Wirklichkeitszugänge konkret erfahrbar ist. Der intersubjektive Zugang zur Wirklichkeit kann überhaupt nur das simulativ zur Darstellung bringen, was über die anderen Zugänge vermittelt echt ist.
Aber was heißt jetzt wieder "echt" und "unecht"?
Echt ist hier etwas, was einer Erfahrung unmittelbar entspricht, unecht, wenn sie medial vermittelt rekonstruiert wird. Alle Wirklichkeitszugänge verfügen über einen originellen Zugang zur Wirklichkeit und über Möglichkeiten, mit ihren Mitteln andere Zugangsweisen zu simulieren.
Das muß aber jetzt an einem Beispiel erläutert werden!
Seinsbegriffe sind das unersetzliche Darstellungsmedium der Intersubjektivität, aber das subjektive Bewußtseinserlebnis erscheint in ihnen nur abstrakt, die forschende Weltbegegnung wird nur nachträglich geordnet, die geschichtliche Zeitorientierung empfängt lediglich Orientierungsmarken, keine Handlungsvorlagen und das metaphysische Ganzheitsdenken bezieht von ihnen lediglich die gemeinsame Verständigungsgrundlage, nicht aber Gestaltungsrahmen, Gestaltungskreativität und Gestaltungen.
Ist das mit der Leistung eines Computers vergleichbar?
Ganz genau! Auch ein Computer bewegt sich nur in der Logik seiner Zeichensysteme und vermag auf diese Weise Denken zu simulieren, so als ob er ein Subjekt wäre, Weltwissen zu maximieren, so als ob es sich dabei um die Dinge selbst handelte, Situationen zu analysieren, so als ob er in der Zeit gegenwärtig präsent wäre und am Ende noch Hypothesngebäude zu produzieren, so als ob das komplexe Ganze von niemandem anderen adäquat zu beherrschen wäre, als von ihm.
Das glauben aber die Anhänger der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI), wie Minsky, Kurzweil usw, doch tatsächlich!
Sie glauben das tatsächlich, aber es ist eben nur Glauben. Das tatsächliche Verhältnis der künstlichen Intelligenz eines Computers zur Wirklichkeit haben sich diese Herren nie klar gemacht. Das können sie aber auch nur, weil sie im Vorfeld Wirklichkeit mit Information verwechseln. Das Wirklichkeitsproblem ist dort allen Ernstes nur ein Informationsproblem. Deswegen glauben sie ja auch schon an die eigene Unsterblichkeit, wenn es ihnen gelingt, ihre persönliche Gehirninhalte so abzuspeichern und dauerhaft aufzubewahren, daß diese dereinst wieder in jüngere sterbliche Hüllen gekleidet werden können usw.
Aber die besten Schachcomputer, Deep Blue und Deep Fritz haben doch gegen Weltmeister gerade hervorragend abgeschnitten!
Ja, weil es sich dabei nicht um subjektives Denken handelt, sondern um die Simulation von Kombinationsmöglichkeiten des Denkens. Hier ist der Computer zu Hause und hier kann er jedes menschliche Gehirn an Vorausdenken und komplexem Gedächtnis übertreffe, auch macht er keine Fehler und ist psychisch stets auf gleicher Höhe. Dem besten Schachspieler der Welt bleibt aber immer noch eine grundsätzliche Chance, die der Computer niemals nützen kann: Da dieser die gegenwärtige Spielsituation nicht nur simuliert, sondern miterlebt, kann er bei gehörigen Wiederholungen dem eingebauten Computerprogramm auf die Schliche kommen. Wenn dann nicht der Computer von seinen Meistern sofort neu nachprogrammiert wird, erliegt er seiner eigenen Artifizialität.
Und wie stellt sich sich die Simulation anderer Wirklichkeitszugänge von nichtintersubjektiver Seite her dar?
Als subjektives Bewußtseinserlebnis begegnet man der Welt nicht direkt, sondern nur indirekt, indem man seine Erfahrung verarbeitet, die Handlungsorientierung wird gedanklich begleitet, nicht geleitet, die seinsbegriffliche Intersubjektivität wird präsentiert und gewertet, nicht repräsentiert und ausgewertet, das metaphysische Weiterdenken wird getragen und motiviert, nicht ausgebildet und ausgetragen.
Und die restlichen beiden Wirklichkeitszugänge, Welt und Ereignis?
In aller Weltbegegnung ist das Subjektive Erlebnis- und Wertungsinterpretation, nicht das Gegebene; die geschichtliche Ereignishaftigkeit ist Kontext und Konstellation von Umständen, die Objektivität bedingen, nicht die Konstitution dieser Umstände; die Seinsbegrifflichkeit ist Reflexions-, kein Erfahrungswissen und das metaphysische Denken ist Weiterdenken, kein Erkennen. Von der geschichtlichen Orientierung her gesehen erscheint Weltbegegnung nur als eine momentane Stillstellung des Geschehensflusses, das subjektive Erlebnis als eine Perspektivenaufnahme unendlicher Möglichkeiten, die intersubjektive Seinsbegrifflichkeit als eine vorläufige Horizontcharakteristik, das metaphysische Denken als ein festhaltendes Durchdringen des Augenblicks.
Wenn Wirklichkeit unhinterfragbar ist, wie kann man dann aber überhaupt von Wirklichkeitszugängen sprechen?
Im Sinn einer Annäherung an das Letzte, nicht im Sinn einer Letzterfahrung. Es geht bei Wirklichkeitszugängen nicht darum, in der Wirklichkeit anzukommen,sondern von einer bestimmten Position aus auf sie zuzugehen. Der Berg wird von unterschiedlichen Seiten her angegangen, der Berggipfel ist dabei noch kein Thema!
Aber nehmen die unterschiedlichen Ausgangspostionen nicht doch auch etwas vom Gipfelbild vorweg?
Vom Gipfelbild ja, aber nicht vom Gipfel selbst. In der Welt Entdeckungen zu machen, sich geschichtlich entscheiden zu müssen oder subjektiv in die Bewußtseinswelt einzutauchen, das sind alles ganz unterschiedliche Wege hin zu der Grenze, die die Wirklichkeit selbst ist. Aber sie führen eben doch alle zu der gleichen Grenze, die Welt existiert nicht durch sich selbst, sondern hat Anfang und Ende in der Wirklichkeit, das Geschehen ist nicht allumfassend überschaubar, sondern immer mitten drin und die subjektive eigene Erlebniswelt ist unendlich vielfältig und läßt sich nicht auf die Erfahrung eines einzelnen Individuums reduzieren.
Aber die Grenzen erscheinen doch gesondert!
Für sich erscheinen sie das, aber nicht an und für sich! Die Grenzen der Welt sind doch auch Grenzen der subjektiven Vorstellungsfähigkeit und der zeitlichen Entwicklung. Die Grenzen des Subjekts sind doch auch sein gewisses Verschwinden aus der Welt und seine situative"Geworfenheit" (Heidegger), die Grenzen der Ereignishaftigkeit sind auch Grenzen von Beständen in der Welt und Grenzen ihrer Registrierbarkeit.
Dann gibt es "in Wirklichkeit" gar keine getrennte Wirklichkeitszugänge!
Es gibt sie de facto, aber es gibt sie nicht "in Wirklichkeit", wenn damit gemeint ist, daß die Wirklichkeit der Grenzen dasselbe sind wie die Grenzen der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit der Grenzen können wir gleichsam von dieser Seite des Zaunes her ausmachen, die Grenzen der Wirklichkeit liegen jenseits des Zaunes, worüber wir keine Erkenntnis mehr haben, uns allenfalls begründete Gedanken machen können.
Aber diese begründeten Gedanken sind doch wiederum von unserer Sicht dieseits des Zaunes abhängig.
Dabei kommt es aber darauf an, ob man an seiner Grenze dieseits des Zaunes das mögliche Jenseits noch mitbedenkt, oder ob man es schlicht vergißt. Beim Mitbedenken des Jenseits bleibt man offen für die anderen Wirklichkeitszugänge, beim Vergessen macht man sich über die Wirklichkeit etwas vor, was hinterfragbar ist.
Wie zeichnet sich Befangenheit dieseits des Zaunes aus?
Intersubjektiv wird alles in Logik gezwängt, von der Welt her wird nur in Weltbildern gedacht, das Subjekt flüchtet sich in esoterische Weiten, ereignishaft regiert die Apokalypse und metaphysisch enstehen Spekulationen, denen die Bodenhaftung in den Wirklichkeitsbedeutungen fehlt.
Und wie kann man auf dem Boden eines unvermeidlichen Wirklichkeitszuganges allein für die anderen offen bleiben?
Indem man bei Verallgemeinerungen sich bescheidet. Das Weltbilddenken darf seine wissenschaftlichen Voraussetzungen nicht vergessen, die Apokalyptik die Grundbedingung möglicher Offenbarung, die Esoterik die Lebensgrundlagen des Subjekts und die Metaphysik die synthetische Vermitteltheit ihrer Gestalten.
Das wäre dann auch ein Leitfaden für Philosophie?
Sagen wir einmal: Gute Philosophie, oder noch besser: Große Philosophie. Normalerweise bewegt sich Philosophie stets primär im Bereich einer der Wirklichkeitszugänge. Aber große Philososphie zeichnet sich dadurch aus, daß sie die anderen Wirklichkeitszugänge innerhalb ihrer eigenen Prioritäten nicht unterdrückt, sondern mitberücksichtigt.
Wie soll man diese Mitberücksichtigung verstehen?
Als Eingeständnis von offenen Fragen oder als spiegelbildicher Kategorienausweitung.
Was wäre eine spiegelbildiche Kategorienausweitung?
Für den Wirklichkeitszugang von der Welt her dient als Schlüsselbegriff Materie, vom Ereignis her die Zeit, intersubjektiv die Sprache und subjektiv das Bewußtsein. Wer nun in Weltbildkategorien spiegelbildlich denkt, so wie etwas Nicolai Hartmann, wird in Schichten der anderen Wirklichkeitszugänge gerecht werden müssen, er wird neben der anorganischen auch eine organisch, psychische und geistige Schicht unterscheiden. Wer in Ereigniskategorien denkt, muß den weltlichen Wirklichkeitszugang unter dem Gesichtspunkt von Ressourcen berücksichtigen, ohne die Lebensorientierung realistisch nicht möglich ist. Intesubjektivitätskategorien dürfen nicht von unterschiedlichen Evidenzen absehen, auf die sich in letzter Instanz wahre Erkenntnisse stützen müssen und subjektive Kategorien müssen Erscheinungen als Phänomene gerecht werden, die nicht vom Subjekt selbst produziert werden. Schließlich verdient das metaphysische Denken nur dann seinen Namen zurecht, wenn es sich als Synthese aller Wirklichkeitszugänge versteht und sich allen gewachsen zeigt. Wird ein Wirklichkeitszugang von anderen Wirklichkeitszugängen abschottet, haben wir es nur mit Strategie, nicht mehr mit Philosophie zu tun, wenigstens keiner gr0ßen Philosophie.
Aber wie kann sich das metaphysische Denken als Synthese aller Wirklichkeitszugänge verstehen?
Indem es keinem von ihnen verfällt, und doch auf keine der Leistungen verzichtet, die allein die einzelnen entsprechenden Wirklichkeitszugänge zu bringen vermögen.
Aber was heißt, "auf Leistungen von Wirklichkeitszugängen nicht verzichten"?
Metaphysik darf nicht eine Welt dogmatisch postulieren, sondern muß sich die Weltwirklichkeit vom neusten Stand der Wissenschaften her erschließen. Sie darf nicht Orientierung situationsunabhängig verallgemeinern, sondern muß sich die bestimmte Orientierungssituation auf der Höhe der Zeit erarbeiten. Sie darf nicht private subjektive Vorurteile pflegen, sondern muß alle Subjekte selbst ohne Unterschied zu Wort kommen lassen können, und sie darf nicht intersubjektiv Regelungen unterstellen, die von Intersubjektivität selbst nicht mehr von sich her gestützt werden. So gesehen kann sich Metaphysik auf die nur von ihr zu bewältigende Aufgabe gerechtfertigt vorbereiten, nämlich dem Ganzen vorläufig zu entsprechen
Aber was heißt jetzt "dem Ganzen entsprechen"?
Nach bestem Wissen und Gewissen eine geistige Heimat zu schaffen, in der wissenschaftliche Weltbilder ihre Einheit, ereignishafte Entscheidungssituationen ihre Orientierung, intersubjektive Verständigung ihre Basis und subjektive Besinnung ihre Erfüllung finden können: Alles zusammen das, was dann zum Transzendieren und darüber hinaus zum Glauben führt usw.
Welche Verbindung besteht zwischen dieser Metaphysik und dem Alltagsdenken?
Die Metaphysik ist reflektiertes Alltagsdenken und das Alltagsdenken ist verschwiegene Metaphysik. Insofern das Alltagsdenken stets auf gängige Weltbilder, Orientierungsmuster, Entscheidungskriterien und subjektive Vorurteile zurückgreift, handelt es sich um Metaphysik in ihrerem unreflektierten Stadium.
Gibt es eine Priorität des Wirklichkeitszuganges im Alltagsdenken?
Im Alltag dominiert kein Wirklichkeitszugang eindeutig, gewöhnlich haben wir es stets mit einem Mix zu tun, der abhänig ist von Tätigkeitsbereichen, Reife- und Bildungsniveaus, historischen Zeithorizonten und subjektiven Problemstellungen. Die Wirklichkeit ist im Alltag potentiell stets mit allen ihren Zugängen präsent.
Aber im gesellschaftlichen Alltag muß doch der intersubjektive Zugang dominieren,wenn ein Zusammenleben möglich sein soll?
Wenn man Intersubjektivität sehr weit faßt und alles, was eine Gesellschaft funktionieren läßt, hinzuzählt, dann hat der intersubjektive Zugang von archaischen Gesellschaften angefangen über die Hochkulturen und Geistesaristokratien der großen Weltreligionen bis hin zu den modernen freiheitlich-demokratischen Gesellschaften natürlich den Vorrang. Was "Man" denkt und denken muß ist natürlich folgenreicher als das, was Herr Müller oder Frau Schmid privat denken oder eine bestimmter Fachwissenschaftler sich über sein Fachgebiet und die Welt zusammendenkt.
Inwiefern zeichnet der intersubjektive Wirklichkeitszugang das aus, was "man" denkt?
Wenn ich mich an die Rechtsgesetze halte und auch moralisch in einer Gemeinschaft anerkannt sein will, dann lasse ich mich von intersubjektiven Kriterien bestimmen, die jetzt natürlich auch als Realitäten in der Welt daher kommen. Wenn ich in meinem Handeln zusätzlich noch einem Ethos folge, dann kommt auch noch eine metaphysische Ebene hinzu, und insofern erfahrungsgemäß die Ideen sich schon immer im Konfliktsfall vor den Interessen blamiert haben (Karl Marx), sind auch die einzelnen Subjekte nicht ganz unbeteiligt an dem "Man". Man sieht also, man hat es mit abstrakten Unterscheidungen zu tun, die in der Realität nie rein vorkommen.
Gibt es aber in der Geschichte überhaupt einen Fall, bei dem die Intersubjektivität ganz zweitrangig wurde?
Eigentlich nur dann, wenn eine geistige Macht so allbeherrschend wurde, daß die gesellschaftlichen Spielreglen ganz stark von ihr beherrscht wurden. Wie wenig dazu das hinduistische Indien zählt, kann man schon an der gesellschaftlichen Relevanz des Kastenwesens erkennen. Aber in kleineren buddhistischen Mönchskreisen kann man sich durchaus vorstellen, daß die bewußtseinszentrierte Innerlichkeit vielmals Gewohnheitsrituale durchbrechen ließ. Das sosehr in Ritualen und Geboten verankerte nachexilische Judentum ist bis heute so sehr in seiner ereignisverhafteten Denkweise befangen, daß selbst noch beim Holcaust die Frage nicht verdrängt werden konnte, was Gott in dieser Prüfungssituation wohl mit seinem auserwählten Volk im Schilde führte. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die Opferung des Isaak. Wer grundsätzlich nur gelernt hat, daß geschichtliche Ereignisse göttliche Prüfungen bzw. Strafmaßnahmen sind, der wird im Falle der Unentscheidbarkeit dieser Frage wie Hiob Gotte unerforschlichem Ratschluß sich fügen, nicht aber intersubjektiven Gepfogenheiten und institutionellen Zwängen.
Das war der subjektive und ereignishafte Wirklichkeitszugang, Gibt es auch Beispiele für den weltlichen Wirklichkeitszugang?
Wenn jemand sich nur an den Realitäten ausrichtet, kommt es darauf an, wie er diese Realitäten wahrnimmt. Für den, der in den Realitäten nur Gewalt, Macht, Reichtum und Zufall zu erkennen vermag, ist der Naturzustand naheliegend, wenn ihm jeglicher Sinn für intersubjektive Kriterien, Normen und Einrichtungen verloren gegangen ist. Philosophisch handelt es sich dabei etwa um den aller intersubjektiven Bindungen enthobenen Übermenschen Nietzesches, aber auch um den vulgären Darwinismus eines Hitler. Als Alltagsmenschen aber begegnen sie uns überall als verantwortungslose Egoisten, Gewaltherrscher und Kriminelle.
Gibt es rückblickend geschichtliche Stufen des Manifestwerdens von Wirklichkeitszugängen?
Die gibt es gewiß, sowohl ontogenetisch wie phylogenetisch. Ontogenetisch durchläuft noch heute jeder Mensch vom Säugling an bis zur reifen Persönlichkeit geistige Entwicklungsstufen, deren Anfang sich durch eine Dominanz der Subjektivität auszeichnet. Allmählich wird dann die davon unabhängige Welt genauer entdeckt, später deren Kontextgebundenheit langsam registriert, um allmählich in ein intersubjektiv bergündbares Bild integriert, in sachliche Diskursen überprüft und in wachsende objektive Distanz gebracht zu werden. Die letzte Stufe wäre ein reflexives Wirklichkeitsverständnis als das Selbstbewußtsein einer Vernunft, die sich an der Herrschaft des Arguments orientiert.
Die geistige Entwicklung des Subjekts folgt also einer bestimmten Reihefolge von Wirklichkeitszugängen?
Wenn man davon absieht, daß es sich dabei um keine reine Abfolgen, sondern lediglich um Akzentverschiebung der vorherrschenden Prioritäten handelt, dann kann man sagen, daß die Entfaltung einer natürlichen Wirklichkeitsauffassung vom Subjekt anfängt, über die Entdeckung der Welt, deren zeitlichen Bedingtheit und intersubjektiven Verläßlichkeit hin zu einem Ganzheitsverständnis führt, dessen entwickeltste Stufe eben ein reflektiertes Wirklichkeitsverständnis wäre.
Und das Wirklichkeitsverständnis selbst zeigt diese charakteristischen Merkmale?
Nehmen wir den Weihnachtsmann im Wirklichkeitsverständnis eines Kindes. Auf der untersten subjektiven Stufe wird er noch authentisch zur Kenntnis genommen (Subjektivität), später mit kindlichen Erzählungen umrankt mit der Welt erklärbarer Gegenstände vereinbart (Welt), bis die Umstände der Erklärung immer konkreter, komplizierter, begründeter und dementsprechend auch problematischer werden (Ereignis). Schließlich wird der Nikolaus mitsamt seinem Auftritt und weihnachtlichen Gehabe als Theaterszenerie begriffen werden ((Intersubjektivität). Was damit am Ende dargestellt wird und was der Sinn dabei sein soll, das bleibt dann einem reflektierten Wirklichkeitsverständnis überlassen, mit dessen Hilfe der einzelne dem religiösen Kontext vernünftigerweise einen vernünftigen bzw. unvernünftigen Sinn abzugewinnen suchen kann.
Und wie stellt sich die phylogenetische Entwicklung im Nachhinein dar?
Hier fällt es nicht schwer, eine Parallelentwicklung zur Ontogenese aufzudecken, wenn man dabei berücksichtigt, daß es sich um kollektive geistige Pardigmen handelt, in denen das subjektive Bewußtsein verankert ist. In direkter Parallele zur Ontogenese des Wirklichkeitsverständnisses haben wir es bei der Phylogenese am Anfang überall mit dem magischen Bewußtsein der archsischen Naturvölker zu tun, mit den Hochkulturen geht dann das magische Denken überall in mythisches über und beim Aufeinandertreffen von Hochkulturen kommt es zum Hinterfragen des Mythos durch Weltreligionen. Die Weltreligionen werden aber ihrerseits in einer freier werdenden Welt mehr und mehr im Blick auf die Realität hinterfragt. Schließlich geht es um das Begreifen der Realität in einem reflektierten Wirklichkeitsverständnis
Lassen sich die ontogenetischen und phylogenetischen Entwicklungsstufen genau parallelisieren?
Man kann ungefähre Parallelen herstellen. Das magische Denken entspricht ontogenetisch dem leibhaftigen Glauben an den Weihnachtsmann, so wie dort Geister und Dämonen leibhaftig wahrgenommen werden. Das mythische Denken entspricht den Weihnachtmanngeschichten, so wie der Mythos Göttergeschichten erzählt, um sich das Unverständliche in der Welt sinnhaft begreifbar machen zu können. Das Denken der Weltreligionen ließe sich in Parallelität setzen zu einer biblischen Erläuterung des Weihnachtsmannes, die Zweifel an der Leibhaftigkeit von einer Glaubensauffassung her zugleich entschärft als auch erübrigt, weil eine offizielle Leseart dafür zur Verfügung steht. Die Überprüfung der Weltreligionen mit dem Entstehen des wissenschaftlichen Denkens wäre ontogenetisch Vergleichbar mit dem Durchschauen auch des offiziellen biblischen Textes und dem Begreifen der Nikolausszenen als mehr oder weniger gelungenes Theater. Der Rest einer reflektierten Wirklichkeitsauffassung korrespondierte direkt mit dem vernünftigen Selbstbewußtsein einer reifen Persönlichkeit.
Ist das aber keine erstaunliche Beobachtung?
Sie gibt jedenfalls Stoff genügend zum Nachdenken. Sie verführt geradezu, das Evolutionsdenken auch auf das Verständnis der Entfaltung des Geistes zu übertragen. Der Standort der Aufklärung erscheint unter diesem Gesichtspunkt als das zwangsläufige Produkt eines Naturprozesses.
Erscheint es nur so, oder ist es so?
Historisch betrachtet ist es so. Wenn aus diesem Ergebnis aber Schlußfolgerungen für die Zukunft abgeleitet werden sollen, muß man genauer hinsehen, was diese Entwicklung tatsächlich auszeichnet. Es sind Trends, die jederzeit rückgängig gemacht werden können: Würde sich etwa die Menschheit heute atomar vernichten, und nur kleine Kinder würden auf irgendeiner Südseeinsel überleben und mit Tieren groß werden, um sich vermehren zu können, dann würde alles noch einmal von vorne beginnen.
Oder auch nicht?
Genau das ist der Punkt. Mit dem Wort "zwangsläufig" muß man ganz vorsichtig sein, denn vielleicht würde dann ein ganz anderer Weg der Bewußtseinsentwicklung eingeschlagen! Dasselbe gilt übrigensauch für die biologische Evolution.
Aber läßt sich nachträglich nicht doch so eine Gewichtung der Wirklichkeitszugänge rechtfertigen?
Das ist ein verführerischer Gedanke, und viele sind ihm erlegen. Hegel konnte so weit gehen, den selbstreflektierten Geist allein als Wirklichkeit noch gelten zu lassen. Noch Habermas meinte, in seiner Intersubjektivitätsphilosophie den subjektiven Wirklichkeitszugang zweitrangig behandeln zu dürfen. Aber die biologische Evolution sollte uns lehren, daß alles Spätere auf des Frühere angewiesen bleibt. Geist und Bewußtsein sind an Gehirne gebunden, diese an Leben, dieses an Materie, es gibt nicht den freischwebenden Geist.
Und es gibt nicht das freischwebende reflektierte Wirklichkeitsverständnis?
Es gibt kein reflektiertes Wirklichkeitsverständnis ohne Subjekte, die Welt ereignishaft begreifen, intersubjektiv prüfen und insgesamt zu hinterfragen suchen. Die Stufen auf dem Weg zu ihm sind zugleich seine Stützen!
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HISTORISCHES.
In der Geschichte des Denkens dominiert zwangsläufig der intersubjektive Wirklichkeitszugang, weil er die freie Überlebensfähigkeit der Gattung sichert. Der weltliche Wirklichkeitszugang allein führte nur zur Beherrschung der Realität, in wessen Dienst auch immer, die Vorherrschaft des subjektiven Wirklichkeitszuganges führte zu einem unendlichen Neben- und Gegeneinander atomisierter Individualitäten, der überwiegende ereignishafte Wirklichkeitszugang würde eine Endzeitsituation nach der anderen heraufbeschwören mit Situationsverallgemeinerungen, die notwendigerweise sich widersprechen müssen. Würde der megtaphysische Wirklichkeitszugang ohne Kontrolle durch den intersubjektiven das Szepter übernehmen, würden die Herrschenden ihn schnell instrumetalisieren und zur Legitimierung von Knechtschaft und Unrecht mißbrauchen. Dabei ist das, was als intersubjektiver Wirklichkeitszugang gelten soll, geschichtlich höchst vielfaltig. Im magischen Denken der archaischen Völker war es noch die gewachsene Lebensgemeinschaft allein, welche die intersubjektiven Beziehungen trug und stabilisierte. Im mythischen Denken der Hochkulturen entwickelte sich diese Lebensgemeinschaft zu Kulturtraditionen, die durch gemeinsame Sinnerzählungen vermittelt der Lebensgemeinschaft eine geistige Heimat zu verschaffen vermochte. Mit der Zeit der großen Weltreligionen wurde diese geistige Heimat vom jeweiligen Bild eines einen und wahren Mythos her reglementiert und normativ für alle Gemeinschaftszugehörige so oder so autoritativ codiert. Seither hat der intersubjektive Wirklichkeitszugang einen zunehmend beschleunigten Wandel erfahren; Unaufhaltsam fortschreitende Rationalisierung und Funktionalisierung hat die Kriterien für Intersubjektivität einerseits immer komplizierter und unübersichtlicher werden lassen, andererseits aber auch wieder institutionell immer unentbehrlicher, weil nur sie es sind, über die sich eine immer komplexere Gesellschaft in Freiheit integrieren kann. Denn was es heißt, den intersubjektiven Wirklichkeitszugang auszuhebeln, kann uns subjektiv das Verhalten von religiösen Sekten und Fundamentalisten lehren, weltlich der Wissenschaftsaberglaube Halbgebildeter und Assozialer, der alles für machbar, erzwingbar oder oder bezahlbar hält, ereignishaft der Opportunismus derer, die dem Zeitgeist stets unmittelbar auf dem Fuß folgen wollen und schließlich metaphysisch der Totalitarismus jener unsäglichen selbsterannten Übermenschen des zwanzigsten Jahrhunderts, die stets im guten Glauben waren, die absolute Wahrheit auf ihrer Seite zu wissen, auch wenn sie nur davon überzeugt waren, daß dieser Wahrheit entsprechend alles erlaubt sei!
Gegen die Intersubjektivität sind die anderen Wirklichkeitszugänge der notwendigen gesellschaftlichen Steuerungsaufgabe allein nicht gewachsen. In einer zunehmend säkularisierten und technifizierten Welt regt sich zwar immer lauter heute wieder der Ruf nach der Natur, aber auch den größten Naturfreunden gelingt es heute nicht mehr, dem Ruf "Zurück zur Natur!" breite Gefolgschaft zu sichern. In einer immer mehr medialisierten und aktualisierten Öffentlichkeit regiert oft zwar die Jagd nach der Tagesschlagzeile, aber ohne Berufung auf Moral und intersubjektiv erprobte Standards kann auch dort der überzeugteste Sensationskolunist sich langfristig nicht halte. Was den subjektiven Wirklichkeitszugang anbetrifft, so ist die wachsende Individualisierung und Pluralisierung aller Lebensbereiche zwar nicht mehr aufzuhalten, das heißt aber nicht, daß daneben auch die einzelnen Bewußtseinswelten immer mehr auseindandertriften müssten. Denn so sehr Freizeitverhalten, Mode, TV- und Musikgeschmack beispielsweise immer eigenständigere Formen annehmen, so wenig ist gesagt, daß hinter ihren Repräsentanten immer auch grundsätzlich unterschiedene geistige Welten sich verbergen müssen. Das Gegenteil ist meist der Fall: Da ganz selbständiges Denken angesichts des Orientierungswustes immer schwerer fällt, weil Opfer angesagt sind, jedermann aber andererseits vernünftig sein möchte (oder wenigstens, wenn er schon gegen Vernunft ist, dann doch dies mit Vernunft im Bunde sein möchte), so kommt es heute zu jenem Durchschnittsdenken, das die Demoskopen wöchentlich abfragen und dem Politiker und Medien höchst verläßliche Daten entnehmen können, um daraus berechenbare Trends zu erschließen. Was schließlich vom metaphysischen Wirklichkeitszugang heute noch als Rest vorhanden ist, kann nur noch im Namen von Aufklärung und Kritik mit größerer öffentlicher Resonanz rechnen, muß sich also intersubjektiv anspruchsvoll geben, um nicht in die relative Bedeutungslosigkeit hermetischer Schulen oder bigotter Sekten zu verfallen.
Die Zeiten also sind lange vorbei, wo dem Wirklichkeitszugang der Intersubjektivität ernsthaft Konkurrenz aus den anderen Wirklichkeitszugängen drohte, so wie etwa einmal vom Materalismus des letzten Jahrhunderts, mit dem der weltliche Wirklichkeitszugang radikale atheistische Konsequenzen zeitigen konnte, (die moderne Evolutionstheorie ist nur noch ein schwaches Echo auf die damals freigesetzten Aggressionspotentiale)! Oder so, wie einmal von der Apokalyptik eines Paulus, mit dem das ereignishafte jüdische Denken seine christliche Durchschlagskraft gewann. Der klassenkämpferische Revolutionsfetischismus der letzten zweihundert Jahre ist nur noch ein schwacher Abglanz jener ungeheueren Energie, mit der einmal die christliche Lehre die Antike revolutionierte. Oder so, wie sie einmal mit dem Buddhismus, mit dem das hinduistische Denken in eine innerliche Erösungsreligion subjektiv transformiert wurde. Die vielen asiatisch inspirierten esoterischen Heils- und Erlösungslehren heute, ob in Bhagwans Pona bzw Oregon oder in Kaliforniens Esalem, in China oder wo auch immer, sind demgegenüber keine kollektiven, nur noch private Herausforderungen. Was schließlich Metaphysik in einer naiven Variante in der Welt ausrichten kann, hat uns alle die geschichtliche Ausbreitung des Islam gelehrt und kann uns noch heute der real existierende Islam mit seiner ungeheueren sozialen Sprengkraft vor Augen führen. Dagegen war die historische Wirksamkeit des Hegelschen Totalsystems als die letzte Form, in der sich Metaphysik im Abendland noch gegen Intersubjektivität eine Zeit lang einflußreich öffentlich in Szene setzten konnte, fast schon ein Randereignis. Seither blamieren sich nur noch die hohen metaphysischen Gedanken, nicht mehr die angeblichen niederen empirischen Faktem angesichts der überall stillschweigend akzeptierten Herrschaft einer Intersubjektivität, die im Dienst des Überlebens aller weniger auf reflektiertes Wissen, denn auf harte institutionaliserte Realitäten setzt: Wie könnte auch heute eine Gesellschaft überleben ohne Sicherheitsvorschriften, Verkehrsregeln, Wirftschafts-, Berufsregeln, Abfallsregeln, Sportregeln usw?,
Ganz am Anfang des Denkens steht überall in den archaischen
Gesellschaften die Magie als rein subjektiver Zugang zu einer Welt, die
als Tagwelt und Nachtwelt interpretativ noch nicht exakt auseinandergehalten
wird, in deren Verständnis deswegen realistische Alltagserinnerungen gleich
wie die Projektionen von Dämonen und Geister der Traumreiche neben- und
durcheinander ihr Wesen treiben. Intersubjektiv wird es getragen von traditioneller
Gemeinschaftspraxis in Gewohnheitshandeln und Riten. Die subjektive Erlebniswelt
wird auf diese Weise institutionalisiert und kollektiviert. Das magische Denken
bevorzugt noch keinen Wirklichkeitszugang ausschließlich, bringt es aber
auch noch zu keinem reflektierten Bewußtsein, so daß die Intersubjektivität
eingewöhnten Gemeinschaftslebens Vorstellungs- und Handlungswelt ganz beherrschen
kann: Die Gemeinschaft stiftet Gewohnheiten, die zeitliche Orientierung rituell
bannen und subjektive Bewußtseinsinhalte traditionell deuten. Metaphysisch
kann man dann von einem kollektiven Unbewußten sprechen, dem die Unhinterfragbarkeit
der Wirklichkeit im Geheimnis einer Natur begegnet, von der alles kommt und
deren Übermacht alle restlos ausgeliefert sind. Allgemeines Verstehen und
Erklären ist noch vordergründig ohne realistische Grundlage, Wunderglaube,
Zauber und symbolische Akte beherrschen die Szene. Verbindliche Lehren gibt
es noch nicht, offizielle Meinungen behaupten sich latent. Das Verstehen ist
noch naturnah und stark den unbewußten Bildern und natürlichen Bedürfnissen
angepaßt. Es gibt noch keine Erzählkultur.
In der Weiterbildung zum Mythos fixiert sich das magische Denken seine Inhalte und weitet sie phantastisch aus. Wo immer mit den sich entfaltenden Hochkulturen das magische Denken in mythisches übergeht, transformiert sich die vom Gemeinschaftsleben getragene Intersubjektivität langsam in eine kollektiv Erzählwelt: Zwischen die Natur und das gemeinschaftsgesteuerte Bewußtsein schiebt sich nun eine durch schriftliche Texte und zunehmend institutionalisierte Traditionen vermittelte Sinnschicht, die Erklärungen und Verstehenszusammenhänge liefert für das, was bislang den Alten und Schamenen noch fraglos geglaubt worden war. Die Welt ist nun klar in Irdisches und Himmlisches geschieden, Erklärungen und Begründungen, die realistischer Weise nicht eingelöst werden können, werden einer Götterwelt zugeschrieben, in der alles möglich ist. Wurde das Erlebnis von Bltz und Donner in der magischen Welt als vermeintliche Akt einer übernatürlichen Macht noch unmittelbar erlitten, so gibt es jetzt mittelbare Entlastung von Furcht und vor Schrecken, indem man sich sich z.B. bei den alten Griechen erzählt, daß auf dem Olymp der Zeus mal wieder mächtig auf den Tisch hauen mußte usw. Blitz und Donner können so nicht erklärt werden, aber der vorliegende gemeinschaftlich hingenommene Erklärungsmythos genügt, den lebensgemeinschaftlichen Zusammenhalt sinnhaft zu überhöhen. Die Ereignishaftigkeit der Wirklichkeit kann von dort her weiter als Schicksal hingenommen werden, die einzelnen subjektiven Bewußtseinswelten erfahren im privaten Umgang mit dem Mythos plausible Deutungsvorlagen, die verhindern,daß die intersubjektive Gemeinschaftskontrolle verloren geht. Alles in allem bleibt so die Herrschaft der Lebenswelt auch im mythischen Bewußtsein der Hochkulturen erhalten und bindet die Wirklichkeitszugänge in einer Metapysik zusammen, die zwar phantasievoll, aber noch kaum reflektiert und noch gar nicht selbstreflektiert ist. Die Stunde der Reflexion beginnt erst mit dem wechselseitigen Austausch der Hochkulturen, und die der Selbstreflexion überhaupt erst dann, als die dabei sich bildenden großen Weltreligionen ihrerseits fragwürdig werden.
Mit dem Übergang zu der von Karl Jaspers so genannten Achsenzeit der großen Weltreligionen, nachdem die hermetische Abschottung von Hochkulturen Durchbrüche erfahren hatte, stellt sich die Frage nach dem einen wahren Mythos unter den vielen Erzählungen. Die gemeinschaftsgetragende Intersubjektivität läutert sich nun zur einzigen wahren Sinnschicht, die grundsätztliche Widerssprüche aufheben und eine einheitliche Orientierungspraxis legitimieren soll. Damit verändert sich ihr Charakter: Der Gewohnheitsstiftung der Magie, der Sinnstiftung des Mythos schließt sich nun die Sinnbegründung an, Gewohnheitspraxis, die sich sinnhaft vergewissert, verschafft dieser Vergewisserung eine Basis. Blitz und Donner werden jetzt nicht mehr länger als willkürliche Handlung in einer jenseitigen Götterwelt verstanden und abergläubisch gedeutet, sondern als ein verstehbarer Vorgang, der entweder natürlich erklärt oder glaübig angenommen werden muß. Je nachdem, wie die Mythen beschaffen sind, in deren Welt der Weg zum einen wahren Mythos gesucht wird, ist diese Basis aber unterschiedlich auf Wirklichkeit bezogen. In China wird mit Konfuzius und Laotse nach Ordnungsprinzipien des Gemeinschaftslebens gesucht, die auf andere Wirklichkeitszugänge übertragen werden. Es bleibt hier bei der Dominanz des Intersubjektiven, überall sonst aber schieben sich andere Wirklichkeitszugänge in den Vordergrund. Im Indien der späten Veden, Upanishaden und des Buddha triumphiert der subjektive Wirklichkeitszugang: Der Weg zur einen Wahrheit führt über das Bewußtsein in einen inneren Erlebnisbereich, der frei vom Vergehen in der Zeit gleichsam hinter dcr Weltbühne als subjektiver Erlösungszustand im Brahman oder Atman entdeckt und errungen werden kann. Metaphysisch interpretatierte der Perser Zarathustra die eigentliche Wirklichkeit als einen unbedingten Kampf zwischen dem guten und bösen Grundprinzi. Rein ereignishaft begriffen die Israeliten den Bund ihres Volkes mit dem bilderlosen Gott Jahve: Das Volk versprach, die Gottesgebote zu halten, und der Gott versprach umgekehrt, dafür sein Volk zum mächtigsten aller Völker zu machen. Das jüdische Denken ist von daher bis heute ausschließlich apokalyptisch ausgerichtet. Nur in Griechenland setzte sich der weltliche Wirklichkeitszugang durch: Das Zusammendenken der Götter Homers und Hesiods ineins mit Solons Einführung der Gesetzesherrschaft in die Polis führten direkt zu Idee einer einheitlichen Natur (physis) , in der die ursprünglich göttlichen Kräfte als Naturkräfte wiedererscheinen konnten und die olympische Ordnung der Götterwelt als Naturgesetzlichkeit .Die Achsenzeit der großen Weltreligionen wurde durch die Konfrontation mit den Realitäten von der Aufklärung abgelöst, aber nicht überall: Wasden religösen Glauben betrifft, aber auch den Glauben an die Wissenschaften usw, so lebt heute noch der Großteil der Menschheit in der Achsenzeit. Dabei hatte bereits Platon den Weg zur Aufklärung konsequent eingeschlagen!
Indem die griechischen Philosophen sich bemühen, die eine wahre Natur zu denken, kommen sie an den anderen Wirklichkeitszugängen nicht vorbei und bereiten damit die Aufklärung vor. Am umfassendsten ist dem Platon gerecht geworden. er hat damit für alle zukünftige große Philosophie die Maßsztäbe gesetzt. Indem Platon streng auf Wahrheit achtete und der Argumentation eine Richterrolle zukommen ließ, brachte er die Intersubjektivität als gleichgewichtige Kontrollinstanz an das Weltdenken der Natur ein. Die intersubjektive Wahrheitsdikatur der griechsichen Achsenzeit wandelt sich mit ihm zu einem Primat der Wahrheit, dem nun auch noch die Intersubjektivität selbst unterworfen ist. Auch der subjektive Wirklichkeistzugang wird nicht übersehen, insofern die wahren Ideen nach Platon nicht in der Natur wahrgenommen werden können, auch nicht intersubjektiv jedermann bekannt sind, sondern von jedem einzelnen in der Seele (psyche) wiedererinnert angeschaut werden müssen. Nur über den Weg der subjektiven Selbstreflexion lassen sich die Ideen gültig verifizieren. Daneben rückt auch der ereigniushafte Wirklichkeitszugang immer mehr ins Zentrum des Interesses: Nach der Niederlage Athens im Peleponnesischen Krieg war eine erste Ursachendiskussion u.a. durch Thukydides ausgelöst worden. Wie ließe sich ähnliches Unheil für die Zukunft vermeiden? Platons Denken ist von dieser Fragestellung her zuerest politisches Denken, seine Hauptwerke sind politisch (Politeia, Nomoi) und seine Zentralgedanken werden im Zusammenhang mit politischen Themen eingeführt (z.B. die großen Gleichnisse in der Mitte der Politeia), weil esseiner Auffassung entsprechend für die richtige Politik der richtigen Philosophie bedarf. Wenn deshalb von Platons Metaphysik die Rede ist, so muß man darauf achten, daß sie sich nicht mutwillig über die jeweiligen Wirklichkeitszugänge erhebt, sondern im Zweifelsfall lieber bedachtsam einen Mythos erzählt, um dem prinzipiell Unbegreiflichen (und für ihn immer noch Göttlichen) Sprache zu verleihen. Die ungeheuere Grundspannung, die Platons Werk auszeichnet, verliert sich bei Aristoteles dann langsam wieder hin zur hauptächlichen Orientierung an einer Natur, der allerdings zum Gelingen so weit wie möglich menschliche Hilfestellung zu Teil werden muß. Aristoteles analysiert den intersubjektiven Zugang, weist ihm seine Kompetenzen zu und ordnet ihn damit in Wahrheit doch einem Denken unter, das ganz am weltlichen Wirklichkeitszugang orientiert ist. In dem Maße, wie die Intersubjektivität, die eigentlich angesichts der tapfer zugegebenen Aporien hätte Skepsis oder Relativismus erzeugen müssen, von Aristoteles dem Naturdenknen untergeordnet wird, in dem Maß verliert auch die Subjektivität ihre konstitutive Bedeutung: Begriffen wird sie als ein Naturphänomen unter anderen, aber nicht mehr als der Ort, an dem für jeden einzelnen Wirklichkeit zuerst sich zur Erscheinung bringt. Mit dem Einbruvch des Christentums erleidet die Intersubjektivität ein ähnliches Schicksal.
Denn wenn die große griechische Philosophie den weltlichen Wirklichkeitszugang hauptsächlich im Blick hat, die anderen aber trotzdem, bzw trotzdem nicht ganz vernachlässigt, bringt das Christentum den großen Umschwung hin zu einerApokalyps, vor der Intersubjektivität zum Gespött werden muß. Jetzt ist der aus der Bibel überlieferte ereignishafte Wirklichkeitszugang auschließlich angesagt, weil das paulinische Christentum sich in der jüdischen Tradition zuerst als ein eschatologisches Heilsgeschehen versteht. Seit Paulus, Plotin, und Augustin bis hin zur spätmittelalterlichen Mystik war gerade noch der subjektive Wirklichkeitszugang nicht ganz gleichgültig, ließ sich doch über diesen allein ein direkter Draht, wenn überhaupt, zur transzendenten Außerweltlichkeit herstellen. Der weltliche gleich wie der metaphysische Wirklichkeitszugang aber fielen anfänglich ganz der Gleichgültigkeit anheim und der intersubjektive Wirklichkeitszugang wurde von einer Theologie okkupiert, die nichts als dogmatische Bibelexegese betreiben durfte, langsam dann aber zu einer institutionellen Traditionspflege fand, was schließlich zum Bruch mit einer Reformationsbewegung führen mußt, die dem Text der Offenbarung und nichts anderem wieder erneut zum Recht verhelfen wollte. Metaphsisch schaffte es dieses Christentum in seiner Spätphase bei Thomas von Aquin, Schöpfer und Schöpfung auf einem analogen Denkweg so zusammenzubringen, daß sowohl der ereignishafte echatologische als auch der subjektive erlösungsbezogene Wirklichkeitsaspekt zur Darstellung kamen und zudem noch welthaft die Schöpfung aristotelisch gerechtfertiugt und der Schein einer intersubjektiven Evidenz dabei gewahrt wurde. Das Ganze konnte als ein metaphysischer Kosmos erscheinen, in dem die Ordnung der Natur als göttlich begriffen wurde, die Subjekte als notwendiger Teil dieser Ordnung, die Intersubjektivität als Gottes Wort und die Ereignishaftigkeit als Gottes Ratschluß. Mit der Neubesinnung auf die Natur in der Renaissance mußte diese göttliche Zusammenschau Brüche bekommen. Die Welt wird jetzt genauer untersucht, nicht länger mehr nur vorgängig interpretiert, die Eigengesetzlichkeit der Ereignisse wird wieder zur Frage, hört auf, fatalistisch hingenommen zu werden, die intersubjektiven Kriterien werden argumengtativ gegen bloße Autorität und Tradition rehabilitiert und die Subjektivität wieder in ihr Recht als selbständiger Schiedsrichter für Urteilskraft eingesetzt. Die göttliche Weltordnung kommt damit selbst auf den Prüfstand.
Mit dem immer deutlicher werdenden Scheitern der christlichen Metaphysik erfuhr der intersubjektive Wirklichkeitszugang seine neuerliche Aufwertung. René Descartes erneuerte die Metaphysik, indem er sich nur noch auf die subjektive Gewißheit und die widerspruchslose Ratio stützen wollte, die angelsächsischen Empirker widersprachen dieser Metaphysik, allerdings im Namen einer Empirie, die Erfahrung allein zum Schiedsrichter für wahre Erkenntnis erhob. Die Aufklärung wird dann das Erfahrungsdenken immer mehr in dem Mittelpunkt rücken, bis es Immanuel Kant gelang, zwischen intersubjektiven Kriterien und prinzipieller Erfahrungdsapriorität so zu vermitteln, daß beiden Seiten Gerechtigkeit widerfuh. Kants Transzendentalphilosophie fand auf das Wirklichkeitsniveau Platons zurück, indem es ihr gelang, wieder alle Wirklichkeitszugänge zu beachten. So stützte sie sich ganz auf den intersubjektiven Wirklichkeitszugang, respektierte dabei aber auch die andere Zugänge, indem den Naturwissenschaften die Grenzen, der Politik eine Orientierung, dem Subjekt seine Freiheit und der Metaphysik derf Vermittlungsboden zurückgegeben wurden. Weil Kant aber Metaphysik dann doch glaubte, auf einer ausschließlich intersubjektiven Basis abhandeln zu dürfen, blieben viele Mißverständnisse, was im Deutschen Idealismus zu einer neuerlichen absoluten metaphysischen Auflösung auf subjektiver Basis führte. Noch einmal hatte Intersubjektivität verloren und noch einmal eine Metaphysik sich behauptet, die von den Wirklichkeitszugängen abgehoben hatte bzw. höchstens in einem davon sich ganz wiederfinden konnte. Seitdem ist der intersubjektive Wirklichkeitszugang wieder angesagt. Daneben gibt es aber auch immer wieder Versuche, ausschließlich Welt in Weltbilder bzw ein umfassendes evolutionäres Weltbild (Konrad Lorenz) zu bannen. so die Ereignishaftigkeit in apokalyptischen Geschichtsbildern (Ernst Bloch), die Subjektivität in esoterischen Bewußtseinszuständen (Ken Wilber, Bhagwan usw) und das Metaphysische in vermeintlichen absoluten Wahrheiten (Theodor W.Adorno). Daneben erleben wir auch immer wieder Rückfälle, erstaunliche Rückfälle, so wenn neue Mythologien ausgerufen werden (Kurt Hübner) oder gar die Rückkkehr zur Magie nahhegelegt wird (Carlos Castaneda). Es ist also höchst wichtig, in der gegenwärtigen Situation den intersubjektiven Wirklichkeitszugang so zu präsentieren, daß er in seiner unersetzlichen Unentbehrlichkeit wie in seinen natürlichen Grenzen gleicherweise verständlich werden kann.
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