Nachweislich identifizierbare und kontrollierbare Wirklichkeit kann als je bestimmte Vielzahl von Wirklichkeiten systematisch geordnet und gesetzmäßig begriffen werden. Es ist dann die empirische Welt als das unumgängliche Substrat aller Entitäten und der beständige Hintergrund aller Ereignisse. Diese empirische Welt läßt sich metaphysisch nicht deuten, ohne sie zuvor erforscht zu haben. Weil spätestens seit der Aufklärung Wissenschaftswirklichkeit immer wieder fälschlich mit der Wirklichkeit selbst verwechselt wurde, lesen Sie die folgenden Anmerkungen:
Metaphysische Deutung einer Wirklichkeit, deren Beurteilungskriterien geklärt werden müssen, deren Sinn und Relevanz anzueignen ist und in der man sich gegenwärtig zurechtzufinden hat ist immer die Deutung von Erfahrung und Erfahrbarkeit. Ohne unvoreingenommene Erforschung dessen, was so wirklich ist, daß es für jeden gilt, bleibt alles subjektiv unverbindlich.
Wirklichkeit, die intersubjektiv evident gewiß ist, ist wissenschaftlich nachweisbare weltliche Wirklichkeit. Insofern Wissenschaft für Allgemeingültigkeit jeder Art zuständig ist, kommt alles darauf an, Reichweite aber auch Grenzen von wissenschaftlich verifizierbarer Allgemeingültigkeit aufzuzeigen. Wissenschaft ist der Weg zur Wirklichkeit als Realität , wie er nichts seines Gleichen hat, aber er ist eben auch nur dieser Weg. Was Realität möglich macht, kann Wissenschaft (als selbst ein Teil der Realität) nur noch klären, nicht mehr erklären.
Denn wissenschaftliche Einsichten sind bedingt und nähern sich dem Unbedingten auch nur bedingt. Insofern bedingte Einsicht instrumentell verfügbar gemacht werden kann, hat es die Wissenschaft mit der Realität in ihrer möglichen Reproduzierbarkeit , niemals mit der Natur selbst zu tun, die diese reproduzierbare Realität stiftet. Reproduzierbares Wissen kann technischer Beherrschung zugänglich gemacht werden, ist insofern Herrschaftswissen.
Natur verwandelt sich im wissenschaftlichen Zugriff in natürliche Strukturen und Systeme , die als Teile funktionieren, als Ganzes aber in ihrer Möglichkeit unbegreiflich sind. Als die weltliche Erscheinung der Schöpfung entzieht sich Natur an sich dem wissenschaftlichen Zugriff insofern, als alle Entstehungszusammenhänge in der Welt erklärungsmäßig an Grenzen stoßen, die von den Paradigmen der zugrundeliegenden Theorien und der Unbegreifbarkeit alles Letztgegebenen, (auch jenes der Möglichkeit von Wissenschaft selbst), vorgegeben sind. Um Natur und Schöpfung begreifen zu können, bedürfte es eines unbedingten und grenzenlosen Wissens.
Wo aber bedingtes Wissen möglich und erfolgreich verwendbar ist, kann auf Wissenschaft nicht verzichtet werden. Die Entscheidung darüber, ob bedingtes Wissen zulässig ist oder nicht, kann ihrerseits jederzeit wiederum bedingt begründet und in dieser Funktion nur autoritär unterdrückt werden. Wissenschaft ist überall unverzichtbar, wo gültiges Wissen nötig, weil nützlich ist, sie findet ihr natürliches Ende nur da, wo beweisbares Wissen grundsätzlich ein Ende hat, weil der aufweisbare Gegenstand und Kriterien der Kontrollierbarkeit abhanden kommen.
Wissenschaftliches Wissen ist grundsätzlich da zu Ende, wo die unbedingten Voraussetzungen in Frage stehen, die Wissenschaft selbst überhaupt erst möglich machen. Das sind a) die Voraussetzungen der Welt überhaupt und ihrer Nachweismöglichkeiten, b) die Voraussetzungen der Intersubjektivität und ihrer Kriterien, c) die Voraussetzungen von Zeit und Raum mit ihren Horizontbeschränkungen, d) die Voraussetzungen individueller Gehirne und deren angeborene Erfahrungszugänge und schließlich e) die Voraussetzungen des Ganzen und seiner Seinsmöglichkeiten so und nicht aders im Vorfeld aller Erkennbarkeit.
So wenig, wie es deshalb voraussetzungslose Wissenschaft gibt, so sehr ist doch nur diede so "voraussetzungshafte" Wissenschaft in der Lage, das, was wir Objektivität nennen, zu garantieren und auszubauen. Wenn wir mit der Wirklichkeit der Wissenschaften die objektive Realität meinen, dann ist Wissenschaft die Treuhänderin von Objektivität nur dann, wenn sie selbst sich ihrer eigenen Grenzen genau so bewußt ist wie ihrer Möglichkeiten gültiger Einsichten. Die Voraussetzung dafür ist die Einsicht in das, was wir im weitesten Sinn Objektivität nennen und mit dem Begriff verbinden: Radikale Explikation der Prämissen und Transparenz der Ableitungen. Pseudoobjektivität betreibt beides nur halbherzig im Dienst wissenschaftsfremder Interessen.
Wissenschaft, die Objektivität garantierend repräsentiert, ist insofern wertfrei, als subjektive Wertungen zur Gewinnung ihrer Resultate kein Kriterium sein dürfen, wenn diese nicht wertlos, weil unverbindlich werden wollen. Wertfreiheit der Wissenschaft heißt nicht, daß wissenschaftlichen Problemen und Fragestellungen keine Wertprobleme zugrunde liegen, sondern lediglich, daß auch noch die Behandlung dieser Wertprobleme in letzter Instanz unter Bedingungen erfolgen muß, die intersubjektiv nachvollzogen werden können müssen und deshalb nicht in subjektiven Wertungen wurzeln dürfen. Wissenschaft hört auf, Wissenschaft zu sein, wenn sie, statt bedingt Werte vergleichend, unbedingt Wertentscheidungen trifft.
"Wertfreie Wissenschaft" bedeutet also nicht, daß die Wissenschaft von Werten nichts wissen will oder gar von Werten losgelöst existieren könnte, sondern lediglich, daß ein objektiver Umgang mit ihnen grundsätzlich nur bedingt möglich ist. Schon gar nichts hat "wertfreie Wissenschaft" mit moralischer oder ethischer Zurückhaltung zu tun. Im Gegenteil ist wissenschaftliche Distanz ist eine hohe ethische Leistung und wissenschaftliche Forschung im Verbund setzt im gewissenhaften Umgang mit Kriterien der Wissenschaftlichkeit eine hohe moralische Diszipliniertheit voraus. Max Webers Werturteilspostulat von 1914 ist bis heute in der Wissenschaftsgemeinde, nicht nur den Sozialwissenschaften, nur unzureichend verstanden.
Weil Wissenschaft unbedingt "zwingendem Wissen" verpflichtet ist, steht sie selbst unter einem ganz besonderen Verantwortungsdruck, insofern sie ihre eigentliche Funktion unparteilicher Neutralität verraten würde, machte sie sich entweder zum Sprachrohr privater, wirtschaftlicher oder politischer Interessen, oder ließe sie sich als Transformationsriemen ideologischer Gesinnungen bzw. zeitbedingter Moden mißbrauchen. Wissenschaftsethik ist Wissenschaftsreinheit. Weltanschauungen oder Religionen haben mit Wissenschaft nichts zu tun, zerstören sie vielmehr, indem sie sie unbrauchbar machen.
Wissenschaftliches Wissen ist Fachwissen. Erfolgreiche Wissenschaft ist Fachwissenschaft vom Gegenstand her und konstituiert sich in unterschiedlichen Fachbereichen und methodischen Erfahrungszusammenhängen. Aber unabhängig davon gibt es "die wissenschaftliche Methode" generell, es gibt "das wissenschaftliche Verfahren", "die wissenschaftliche Praxis", "Kommunikation" usw. Es gibt auch die problembezogene Kommunikation zwischen den Fachbereichen zu deren eigenen Nutzen und zwecks transdiziplinärer Zusammenarbeit, die neue Aspekte für die mögliche Einheit aller Wissenschaften finden und die gemeinsame Zukunftsverantwortung aller Wissenschaften in der Gesellschaft voranbringen kann.
Zu dem, was man "die wissenschaftliche Methode" im Unterschied zu anderen Zugängen zur Wirklichkeit nennt, gehören: a) Offenheit für Experimente und Verfahrenssicherheit mit ihnen, b) Logik und Mathematik als unbedingte Kriterien von Stimmigkeit, c) je spezifische theoretische Gesamtorientierungen und Gesamtkontrollen, d) Genauigkeit in Beobachtung und Datensicherung, e) unbedingte Öffentlichkeit der Kontrollen und Forschungsergebnisse. Es gibt für die Weltorientierung keine Methode, die erfolgreicher ist. Es gibt keine erfolgsorientierte Praxis in der Welt, die auf sie verzichten könnte.
Alles wissenschaftliche Erkennen ist theoretisches Erkennen, insofern stets eine Theorie zugrunde liegen muß, die testbar ist und sich zu bewähren hat. Eine wissenschaftliche Theorie gilt so lange, als sie sie sich bewährt hat, d.h, als ihre Widerlegungsversuche gescheitert sind. Das ist das Falsifikationsprinzip Karl Poppers, das der Wissenschaftstheorie (entgegen einer Verifikationstheorie) ein konsensfähiges Fundament gegeben hat. "Die wissenschaftliche Theorie" gibt es insofern nicht, als intersubjektive Welt im weitesten Sinn gar nicht theoriefrei möglich ist. "Wissenschaftliche Theorie" heißt dann nur noch, daß auf ein unumgängliches Theorieverständnis zur Kontrolle die wissenschaftliche Merthode angewendet wird.
Naturwissenschaften unterscheiden sich von anderen Wissenschaften dadurch, daß experimentell nur die materielle Objektwelt Gegenstand ist, die theoretisch zutreffend beschrieben und und praktisch technisch beherrscht werden kann. Galilei war der erste, der die Naturwissenschaften zutreffend beschrieben hat. Insofern alles Wirkliche materielle Grundlagen in der Welt hat, ist alle Wissenschaft Naturwissenschaft. Insofern die materielle Welt nicht alle Wirklichkeit ist, sind auch die Naturwissenschaften nicht alle Wissenschaft.
Sozialwissenschaften unterscheiden sich von den Naturwissenschaften dadurch, daß ihre Objektwelt aus Subjekten besteht, deren Verhalten nicht nur kausal erklärt, sondern auch intentional verstanden werden muß, um zureichend begriffen und möglicherweise erklärend vorausgesagt werden zu können. Max Weber war der erste, der die Sozialwissenschaften zureichend begriffen hat. Insofern alles Wirkliche für die erkennenden Subjekte in der Lebenswelt soziale Grundlagen hat, hat alle Wissenschaft sozialwissenschaftliche Relevanz. Insofern aber die anorganische Welt unabhängig von der Lebenswelt existert, können auch die Sozialwissenschaften keinen wissenschaftlichen Universalanspruch erheben.
Geschichtswissenschaften benutzen die Natur- und Sozialwissenschaften, um die ereignishafte Wirklichkeit faktisch so beschreibend zu rekonstruieren, daß sie in in ihrem weichenstellenden Ablauf verständlich wird. Max Weber war der erste, der auch Geschichtswissenschaft zureichend begriffen hat. Insofern alles Wirkliche sich irgendwie ereignet, hat alle Wissenschaft einen historischen Hintergrund, der ihren Handlungsspielraum bestimmt. Insofern aber die Realität in der Welt konstante Strukturen hat, kann auch die Geschichtswissenschaft ihre eigene Resultate nur dadurch erzielen, daß sie sich die Erkenntnisse der Realitätswissenschaften vergleichend zu Nutze macht.
Geisteswissenschaften beschreiben vergleichend unabhängig vom matriellen Substrat und den kulturellen Einbettungen Sinngebilde und explizieren deren Wertgehalte und Wertwirkungen. Die Idee der Geisteswissenschaften ist von Friedrich Schleiermacher inauguriert und von Wilhelm Dilthey entworfen worden, ihre Logik hat Max Weber geklärt. Insgesamt aber warten die Geisteswissenschaften immer noch auf ihre umfassende selbständige Begründung trotz der Universalhermeneutik eines Hans Georg Gadamer, die ihren Frieden mit den Naturwissenschaften nicht zu schließen vermochte. Insofern alles Wirkliche für Subjekte sinnhaft vermittelt ist, hat alle Wissenschaft eine geistige, ästhetische und wertbezogene Relevanz. Insofern der Geist in der Welt aber nur ursächlich vermittelnd auf Subjekte wirkt, deren leibgebundene und materielle Interessen hingegen nicht ersetzen kann, sind auch die Geisteswissenschaften auf eine Wirklichkeitsdimension beschränkt, von der her allein weder Natur noch Gesellschaft oder Geschichte zureichend begriffen werden können.
Reflexionswissenschaft ist das intersubjektiv evidente Organ der Philosophie und beschreibt die Grenzen, innerhalb derer uns Wirklichkeit zugänglich wird. Immanuel Kant war der erste, der mit seiner kritischen Transzendentalphilosophie in diesem Sinne Reflexionswissenschaften betrieb. Insofern alles Wirkliche in Grenzen steht, hat alle Wissenschaft einen reflexiven Aspekt. Insofern aber die Grenzen der Wirklichkeit nur in der Metareflexion der Wissenschaften zum Gegenstand werden, nicht aber in der konkreten empirischen Forschung, sind auch die Reflexionswissenschaften nur in der Funktion von disskursiven Klärungsfragen wichtig. Erklärende Forschung in der Welt überläßt sie den anderen Wissenschaften.
Eine sogenannte Einheit der Wissenschaft kann es nur als Methode geben. Sie kann niemals inhaltlich vom Boden einer einzigen Fachwissenschaft her gelingen, muß vielmehr aus einer Einheit aller Fachdisziplinen sich kommunikativ so ergeben, daß Metaphysik griffige Indizien bekommt. Desgleichen kann es keine Universaltheorien, sogenannte Weltformeln oder "Theories of everything" auf dem Boden irgend einer besonderen Fachwissenschaft geben. Es liegt hier immer wieder die Verwechslung von Teilwirklichkeit mit Wirklichkeit überhaupt vor, die solchen Fehlansprüchen zugrunde liegt. Theoretisch läßt sich Wissenschaftseinheit nicht reduktiv als erfolgreiche Ableitung aller innerweltlicher Wirklichkeit aus einem Zentralprinzip bzw. aus reinen Basiselementen begreifen, weil dabei übersehen wird, daß intersubjektive Welt überhaupt nur theoretisch gedacht werden kann, alle wirkliche Welt aber nicht nur theoretisch ist.
Außerweltliche Grenzen der Wissenschaft bedeuten nicht ihr innerweltliches
Ende. Das Gegenteil ist der Fall: Was innerweltlich der Wissenschaft möglich
ist, kann niemand sagen. Ein Ende der Wissenschaft,
wie es generell immer wieder und gerade heute vielerorts diskutiert wird, kann
niemals ein Ende von Forschungsmöglichkeiten überhaupt bedeuten und
ist deshalb prinzipiell unlogisch. Denn das hieße, den Ereignischarakter
der Wirklichkeit mit ihrem Umschlagen von prinzipiell nur wahrscheinlicher Möglichkeit
in grunsätzlich abgeschlossene Notwendigkeit in der Gegenwart zu ignorieren.
Verwechselt wird auch die Erschöpfbarkeit bestimmter theoretischer Paradigmen
(in der Konfrontation mit der Welt) mit einer Realität, die immer nur theoretisch
geordnet, aber nie in eine bestimmte Theorie allein aufgelöst werden kann.