Etwas Wirkliches als Mögliches.

 

Wirklichkeit ist "in Wirklichkeit" das transzendental Erfaßbare als die Bedingungen ihrer Möglichkeit.

Warum können wir Wirklichkeit nicht erfassen wie einen sinnlichen Gegenstand oder eine sinnhafte Information?

Wil es sich um etwas Vorgängiges handelt, das erst in Gedanken rekonstruiert werden muß.

Ist Wirklichkeit deswegen weniger wirklich als das, was wir augenfällig und handgreiflich erfassen können?

Sie ist wirklicher als all dies, weil sie immer gilt, das Augenfällige und Handgreifliche aber auch nicht wirklich sein kann.

Was heißt "etwas Wirkliches" als Wirkliches erfassen?

Wenn wir Wirkliches so beim Namen nennen, daß damit seine je eigene Wirklichkeit als besondere Wirklichkeit mit Wirklichkeit überhaupt keinen Widerspruch bildet, dann haben wir uns bestimmtes Wirkliches "in Wirklichkeit" ,d.h. an Wirklichkeit gemessen unterscheidbar, begreifbar gemacht.

Die Bedingungen, die für Wirklichkeit überhaupt gelten, gelten also auch für jedes Wirkliche?

Unter je besonderen Bedingungen in der Tat. Wenn wir sagen, was wir mit Wirklichkeit als etwas Wirklichem generell meinen, dann nennen wir auch schon die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen uns je etwas Wirkliches allein wirklich sein kann.

Das Gegebene, innerhalb dessen uns Wirklichkeit zugänglich ist, wiederholt sich also in jedem Wirklichen?

In der Tat, was gegegebene Wirklichkeit möglich macht, macht auch alles besondere Wirkliche möglich. Das ganze ist eine Gegebenheitsexplikation Schärfegraden. Je bestimmter wir etwas Wirkliches begreifen, umso vergrößerter leuchten wir die Gegebenheit von Wirklichkeit aus, und umso genauer wir Wirklichkeit beschreiben, umso um so detaillierter erscheint sie uns als etwas Wirkliches.

Ist Wirklichkeit in letzter Instanz Gegebenheit?

Nur insofern, als sie dies für ein Subjekt, so z.B. für uns, ist. Wirklichkeit muß einfach hingenommen werden, weil sie nirgendwo her abgeleitet werden kann und etwas Wirkliches muß so hingenommen werden, wie es uns "in Wirklichkeit", d.h. mit Wirklichkeit vereinbar und von ihr her begründbar erscheint.

Als was erkennen wir das Gegebene in seiner Unhintergehbarkeit?

Wenn seine Bedingungen der Möglichkeit von nirgendwoher denn von Wirklichkeit abgeleitet werden können.

Die Bedingungen der Möglichkeit kennzeichnen also das Gegebene?

Wenn wir nicht vergessen, daß Wirklichkeit für uns in letzter Instanz als Selbstgegebenheit unableitbar ist, dann ist alles Wirkliche von Wirklichkeit her als Möglichkeit bedingt. Bedingungen der Möglichkeit kennzeichnen die Grenzen, innerhalb derer uns das Wirkliche als etwas Unterschiedenes in seiner Gegebenheit ansichtig wird.

Und Gegebenheiten von Wirklichem sind die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit?

Wenn wir auch hier dabei nicht vergessen, daß es sich um Bedingungen ihrer selbst für uns handelt, dann ist Darstellung des Wirklichen in der Tat eine Beschreibung von Möglichkeitsbedingungen. Seit Kant nennen wir diese Betrachtungsweise "transzendental".

Hat schon Kant nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wirklichkeit gefragt?

Nicht direkt. Kants Ausgangspunkt war die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis. Dabei stieß er auf die Grenzen, die Erkenntnis von der Welt und vom Subjekt her konstitutiv möglich machen. Wenn Kant dabei die Sinnlichkeit als Basis unserer Wahrnehmung und Kategorien als Voraussetzung unseres Begreifenkönnens grenzhaft festhält, dann betreibt er in seinen Kritiken eine Analyse des Erkenntnisvermögens, keine Analyse von Wirklichkeitsbedeutungen.

Hat Kant insofern die Wirklichkeit für hintergehbar gehalten?

Von seinem Ausgangspunkt her erklärte er das "Ding an sich" für unerkennbar, und hat damit dem Erkenntnisvermögen eine ultimative theoretische Grenze gezogen. "Wirklichkeit" hat er dabei als eine Kategorie behandelt, weil ihm noch nicht bewußt gegenwärtig war, daß jede Erkenntnis überhaupt nur möglich ist, wenn Wirklichkeit vorausgesetzt wird. An dieses Mißverständnis knüpft die Kantkritik von Hegel bis Heidegger an.

Wie können Bedeutungen die Bedingungen der Möglichkeit von etwas sein?

Indem sie angeben, was ein Bedeutetes sinngemäß beinhalten muß, um einen widerspruchlosen Sinn abzugeben. Fehlt zum Beispiel der Bedeutung von Wirklichkeit "Welt", bleibt unvorstellbar, wo Wirkliches erscheinen können soll.

Und was meinen wir mit "Welt", wenn wir sie zur Bedingung der Möglichkeit von Wirklichkeit machen.

Wir verlassen uns dabei auf den umgangssprachlichen Wortsinn. Aber das genügt natürlich im strengen logischen Sinn nicht. Wir müssen eben auch genauer sagen können, was die Welt immer für uns ist, wenn wir sie widerspruchsfrei denken wollen. Dabei fragen wir wiederum nach ihrer eigenen Gegebenheit "in Wirklichkeit". Wir ziehen also das Netz der Wirklichkeitsgegebenheit im Blick auf die besondere Wirklichkeit "Welt" enger.

Und wie zeigt sich die Gegegebenheit der Wirklichkeit im bestimmt Gegebenen selbst, so wie der Welt?

Indem wir die konstitutiven Bedingungen für Wirklichkeit auf die Welt übertragen. Mit der Welt meinen wir etwas ganz Unverwechselbares, aber zugleich muß sie als Wirklichkeit überhaupt wie alles Wirkliche sonst auch eine subjektive Seite haben, eine intersubjektive, ereignishafte und zusammenfassend identische.

Und als was ist genauer die Gegebenheit der Welt "wirkliche" Gegebenheit?

Indem wir nach den Bedingungen Fragen, unter denen die Welt ihrerseits überhaupt wirklich sein kann. Subjektiv ist die Welt das Insgesamt aller Erfahrungsmöglichkeiten, sonst kann sie nicht registriert sein. Intersubjektiv ist sie das Insgesamt aller theoretischen Zusammenhänge, sonst kann sie nicht ein Ganzes sein. Ereignishaft ist sie das Insgesamt aller Geschichte, sonst kann sie nicht sich darstellen. Und als sie selbst im bestimmten Unterschied zu diesen Bedingungen ist sie die Materie, denn sonst hat sie keinen Bestand. Alles zusammen nennen wir die Welt "Realität" als das, was sie "in Wirklichkeit" als das ist, was sie von anderem Sein unterscheidet.

Und woher wissen wir, daß die Welt als Gegebenheit unhintergehbar ist?

Weil wir uns ohne Welt nichts mehr vorstellen können, was immer wir auch versuchen. Es gibt unendlich viele, auf ihre je eigene Weise unhintergehbare Gegebenheiten in der Welt: Ohne Augenlicht können wir nichts sehen, ohne Gehör, nichts hören, ohne Zurechnungsfägigkeit nichts korrekt denken: Aber alle diese sind Gegebenheiten in der Welt, weil die Welt für sie die Bedingung der Möglichkeit ist, die Welt selbst können wir nur noch von Wirklichkeit her hinterfragen, müssen sie als gegebenes Wirkliches in letzter Instanz hinnehmen.

Angesichts der vielen Gegebenheiten: Was ist die Gegebenheit der Gegebenheiten?

Die Gegebenheit der Gegebenheiten ist die allgemeinste Bedingung der Möglichkeit überhaupt, die unbedingt gilt, weil sie von keiner größeren Allgemeinheit mehr ihrerseits bedingt ist. Angesichts der vielen Gegebenheiten in der Welt ist es die Gegebenheit der Wirklichkeit als Grenze und Ursprung zugleich.

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HISTORISCHES

Philosophisches Denken im Abendland ist von Anfang an transzendetal gewesen, indem für die Gegebenheit der Natur eine allgemeine Erklärung gesucht wurde. Vor Kant aber hat keiner die allgemeine Erklärung der Natur explizit mit dem grundsätzlichen Wissen des Nichtwissens verbunden: Was als die Bedingung der Möglichkeit der Einheit von Natur gesucht wurde, war zuächst einmal der Logos, dessen Ursprung bei Heraklit im Dunklen blieb, bei Parmenides noch mythisch eingeführt wurde. Als Platon an den Logos die Was-Frage stellte, entdeckte er die Gegebenheit der Ideen, deren Ursprung auch er nur mythisch deuten konnte, und deren Identität er dialektisch zu vermitteln suchte. Mit der Umdeutung von Platons Ideen zu Substanzen durch Aristoteles, wurde der transzendentale Ansatz Platons empirisch verwässert, das Gegebene waren nun selbstverständlich Substanzen. Mit dem späteren Einbruch des Christentums verschwand dieser Ansatz ganz, weil nun der Offenbarungsglaube dem Erfahrungswissen vorgeordnet wurd: Gegeben war, was die Bibel als Schöpfung verkündete und das dahinter verborgene Schöpfungs- und Heilsgeschehen..

Im späten Mittelalter brachte die Platonrenaissance seit Nikolaus von Kus ("Docta Ignorantia") gegen die Dominanz des aristotelischen Denkens von Albertus Magnus angefangen den transzendentalen Gedanken im christlichen Gewand zurück. Descarte versuchte dann die Substanz des Aristoteles in einem so weiten Sinn zu denken,als ob die ganze Wirklichkeit einschließlich Gottes aus nichts als Substanzen bestehe. Leibniz reflektierte das Substanzdenken von den beiden transzendentalen Grundprinzipien her "vérités de faits" und "vérités de raison". Spinoza kannte nur noch eine Substanz, deren Attribute als etwas Wirkliches zu entfalten waren. Überall aber wurde vorausgesetzt, daß man es mit der Wirklichkeit als der Schöpfung zu tun hat, deren Schöpfer die Grenzlinie markiert, über die man nur noch spekulieren, nicht mehr raisonnieren kann. Die gegebene Schöpfung wurde zuerst mit den Augen der Bibel beschrieben, später mit Hilfe des Aristoteles empirsch beschrieben, erst ganz allmählich selbständig experimentell erforscht.

Nach Kant erlebte das transzendentale Denken zweideutige Erfolge, weil mehr oder weniger das Gegebene, das Wirklichkeit markierte, vordergründig festgehalten oder gedankenlos hingenommen wurden. Im Neukantianismus unterschiedlicher Schulen und Stadien glaubte man, mit Bedingungen der Möglichkeit von etwas überhaupt die Methodologie der Wissenschaften vorwegzunehmen, unbesehen dessen, daß die Wissenschaften nicht der Königsweg zur Wirklichkeit sind. In der Phänomenologie im Anschluß an Edmund Husserl wollte man Gegebenes in letzter Instanz "rein" erfassen, wobei übersehen wurde, welche Aspekte der Wirklichkeit sonst noch bei einer Sicherung von Phänomenen vorausgesetzt werden müssten. Ludwig Wittgensteins Sprachanalysen schließlich versuchten zuerst die Wirklichkeit auf Logik zu reduzieren (tractatus logicus philosophicus), später auf Sprachspiele (Philosophische Bemerkungen) und damit auf kommunikative Zusammenhäng, wobei offen blieb, wie die unterschiedlichen Sprachspiele in einer Metasprache integriert werden können. Davon ausgehend hat Hans Otto Apel eine Transzendetalprgmatik entwickelt, die in der Lage sein soll, fundamentale Normen zu begründen, Jürgen Habermas eine sogenannte Diskurspragmatik, die gültigen Wirklichkeitsaussagen die kommunikative Basis verschaffen soll. Sowohl Apel als auch Hebermas versuchen dabei Wirklichkeit auf eine Normativität ihrer Auslegung zu projizieren, die intersubjektiv nicht evident gemacht werden kann, weil jedermann argumentativ widersprechen kann.

Weil transzendentales Denken nach Kant, nicht ohne Mithilfe des deutschen Idealismus gleich wie der Erfolgskarriere der Naturwissenschaften, so sehr in Mißkredit geraten war, daß man es spätestens nach dem zweiten Weltkrieg gar nicht mehr ernst genommen hat, hat die überwiegende Gegenwartsphilosophie bis heute immer noch die eigene Haltung zur Transzendentalität nicht bewältigt. Die angelsächsische analytische Philosophie meinte, auf sie verzichten zu können, indem sie versuchte, ihre Grundbegriffe aus der Welt zu entlehnen. Der Kritische Rationalismus Poppers suchte alternativ Anschluß an die physikalische Realität, für die Theorien die letzte Voraussetzung sein sollte. In seiner späten Phase behauptet er eine sogenannte Drei-Welten-Theorie, die als eine Einheit von objektiver, subjektiver und theoretischer Unhintergehbarkeit nun die letzte Wirklichkeitsbasis für Wissenschaftslogik sein sollte. Den Terminus "transzendental" wollte Popper nicht in de Mund nehmen, wie so viele andere auch, etwa sein Antpode Habermas. Dieser kokettierte gern mit dem Wort "quasitranszendental", das es inzwischen in einer Zeit halbherzigen Denkens fast schon zum Kultzustand gebracht hat. Dabei kann es "quaitranszendental" gar nicht geben, weil das damit Gemeinte keine Unbedingtheiten mehr bezweichnet, sondern Wechselbezieungen, die aus der Erbschaft dialektischen Denkens stammen. Unter der Etikette "quasitranszendental" konnte so auch die neuerliche Universalhermeutik gleich wie die Universalisierung der Systemtheorie einen Unhintergehbarkeutsanspruch suggerieren, den es in Wahrheit nicht gab. die Hans Georg Gadamers universale Hermeneutik suchte in der Textualität das letzte Fundament der Verständigung. Das Systemdenken eines Niklas Luhmann versuchte alles Wirklich in Systeme aufzulösen und von dort her zu instrumentalisieren. Und lange Zeit meinte ein postmarxistisches Denken, mit den empirischen sozialen Voraussetzungen auch schon die Erklärung des Wirklichkeitsverständnisse zu verbinden.

Als Kronzeugen transzendentalen Denkens im zwanzigsten Jahrhundert können Karl Jaspers und Martin Heidegger gelten. Aber der erste hat alles Wirklichkeitsverständnis versucht aus der sogenannten Subjekt-Objekt-Spaltung abzuleiten, der zweite, in direkter Opposition zu Jaspers, aus einem übergreifenden Seinsgeschehen verständlich zu machen, das am Ende nur noch in einem fatalistischen Schicksalsdenken endete. Weil Jaspers nicht die Wirklichkeit als unhintergehbar erkannte, sondern dafür das sogenannte wahrheitsmäßig vermittelte Umgreifende ansetzte, konnte niemand verstehen, wieso ausgerechnet ein Kunstprodukt, wie das Umgreifende, als letzthin Unhintergehbares fungieren sollte. Und weil Heidegger zwar die Unerkennbarkeit der Wirklichkeit irgendwie eingesehen hat, sich aber nicht damit abfand, vermeinte er im "Andenken" eine Perspektive zu finden, aus der her über jede Subjekt-Objekt-Spaltung hinweg ein Zipfel des Seinssinns erfahrbar werden könnte, was völlig in die Subjektivität des Interpreten Heidegger zurücklenkte, nichts aber über intersubjektive Evidenz verfügte.

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Letzte Änderung dieser Seite: 28.06.2003