Das Kriterium für die Bedeutung von etwas Wirklichem als Ursprung von Letztgegebenheit, Unbedingtheit und Grenze ist Selbstwiderspruchslosigkeit von Bedeutungsimplikationen. Ursprünge dürfen in ihrem zugeschriebenen Sinn nichts bedeuten, was diesen Sinn ad absurdum führen würde.
Wann würde ein zugeschriebener Sinn durch eine Bedeutungsimplikation ad absurdum geführt?
Wenn man z.B. als konstitutiven Ursprung für Wirklichkeit mit Empedokles Erde, Wasser, Luft und Feuer angeben würde, als welches Wirklichkeit nicht unhintergehbarer letzter Ursprung überhaupt wäre, sondern lediglich der Teil einer Natur, die noch viele andere Teile hätte.
Wie kann die Bedeutung von Wirklichkeit konsistent sein?
Indem die Behauptung von Unhintergehbarkeit widerspruchslos zum Ausdruck kommt.
Wie kommt die Behauptung der Unhintergehbarkeit konsistent in der Bedeutung von Wirklichkeit zum Ausdruck?
Indem in ihr nur das vorkommt, was für sich selbst, von Wirklichkeit allein abgesehen,auch unhintergehbar ist.
Wie stellen wir fest, daß nur Letztbedeutungen in einer Bedeutungsangabe vorkommen?
Indem diese ihrerseits wieder auf ihren Status von Letztbedeutung geprüft werden usw.
Wie bewährt sich in dieser Bedeutungsanalyse das Kriterium des Selbstwiderspruchs?
Durch unentwegtes Prüfen der Letztbedeutungsanspruches. Wenn wir z.B. als Letztbedeutung von Wirklichkeit "Atome" angeben, dann haben wir dabei übersehen, daß es Atome nur gibt, weil es Materie gibt, und Materie nur deswegen möglich ist, weil sie in einer Welt vorhanden sein kann. Über Welt hinaus haben wir nichts mehr, was Unhintergehbarkeit von Wirklichkeit vordergründig erscheinen lassen könnte, denn auch bei einer denkbaren Welt vor oder außerhalb der Welt könnten wir auf "Welt" nicht verzichten, um nicht ins Absurde zu geraten.
Aber wir können uns doch ein Bild von Gott als den Schöpfer der Welt außerhalb der Welt machen!
Genau. Das ist dann aber die göttliche, himmlische Welt. Auf die Vorstellung von Welt können wir auch dabei nicht verzichten. Wenn doch, dann sind wir endlich bei der unhinterfragbaren Wirklichkeit, in der möglicherweise beim Göttlichen alles anders sein kann.
Wenn die Wirklichkeit also widerspruchslos Welt bedeutet, wie dann z.B. zugleich Subjektivität?
Das muß kein Widerspruch sein, wenn wir uns zugleich klar machen, daß ein Blatt beispielsweise zugleich rund und grün sein kann. Worauf es ankommt ist, daß Wirklichkeit für uns aufhört, möglich zu sein, wenn entweder das eine, Welt, oder das andere, Subjekt, verschwinden. Der Widerspruch zeigt sich im Bedeuteten, nicht in den Bedeutungen.
Und woher wissen wir, daß genannte Bedeutungen vollständig sind?
Auch hier zeigt sich der Widerspruch im Bedeuteten, nicht in den Bedeutungen. Wenn Wirklichkeit beispielsweise nur Welt und Subjektivität bedeuten würde, bliebe die offene Frage, wie Subjekt und Welt im Wirklichen sich treffen. Der offene Widerspruch wird behoben, indem man das Ereignis als Letztbedeutung für Wirklichkeit parallel zu Welt und Subjektivität hinzuzieht.
Aber könnte man auf diese Weise nicht endlos weiter Bedeutungsnuancen hinzuziehen.
Auch in diesem Fall ist der Selbstwiderspruch das Entscheidungskriterium: Überzählige Zusatzbedeutungen erweisen sich so, daß sie in eine der bereits vorhanden Bedeutungsangaben hineinpassen. Wollte man z.B. als konstitutive Wirklichkeitsbedeutung noch "Horizont" hinzuziehen, dann erweist die Analyse dies als überflüssig und damit falsch, weil Horizont schon als "intersubjektives Ereignis" von den Letztbedeutungen "Intersubjektivität" und "Ereignis" mitgemeint ist.
Heißt "Vermeidung des Selbstwiderspruchs" Weg zur Wahrheit?
Gewiß, wenn Wahrheit Widerspruchslosigkeit bedeutet. Aber was Wahrheit "in Wahrheit" ist, bleibt damit noch offen.
Aber die Wahrheit muß doch als etwas Wirkliches sich ausweisen lassen!
In der Tat: Beseitigung von Selbstwidersprüchlichkeit ergibt nur dann wahre Wirklichkeitsbedeutungen, wenn die Wirklichkeitsbedeutung von Wahrheit ihrerseits dem nicht widerspricht.
Und wie zeigt sich die Wirklichkeitsbedeutung von Wahrheit?
Damit Wirklichkeitüberhaupt wahr sein kann, muß sie etwas Identisches bedeuten können, das Wahrheit von Falschheit unterscheiden läßt. Und dieses Identische muß in der Welt erscheinen können, als Ereignis, Intersubjektivität und subjektiv. Alles zusammen ist es das, was wir Wahrheit nennnen. Wahrheit ist das Sosein der Identität. So wird das Prinzip der Vermeidung des Selbstwiderspruchs als Wahrheit in Wirklichkeit verständlich.
Aber können wir jetzt nicht weiter fragen nach dem Kriterium für widerspruchslose Identität?
Das verlangte dann die Bedeutungsangaben für Wahrheit als selbst etwas wirkliches: Sie muß richtig und evident sein, in der Welt vorkommen, subjektiv verantwortet werden und alles zusammen unbedingt gelten.
Was verleiht also der Vermeidung des Selbstwiderspruchs in letzter Instanz die Wahrheitsgewißheit?
Überprüft werden muß die grammatikalische und logische Richtigkeit von Ausdrücken und Folgerungen, um intersubjektiv Übereinstimmung zu erzeilen. Die intersubjektive Übereinstimmung wurzelt aber in einer objektiven Übereinstimmung in der Weltlichkeit, die als Übereisntimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand als Faktizität nachgeprüft werden kann. Die faktische Übereinstimmung hat in der Zeit eine Augenscheinlichkeit, deren Evidenz vor Ort zu prüfen ist, und die geprüfte Übereinstimmung hat einen subjektiven Bezug, der von den Subjekten so zu verantworten ist, daß auch Übereinstimmung mit dem eigenen Gewissen und im Blick auf die Zukunft und andere hergestellt wird.
Zerfällt dann aber die Wahrheit nicht wieder in viele Wahrheiten?
Nicht unbedingt. Denn diese unterschiedenen Wirklichkeitsbedeutungen von Wahrheit sind ihrerseits ja nur dann Wahrheit "in Wirklichkeit", wenn sie in der schlichten Unbedingtheit von Identität zusammengedacht werden. Wahrheit ist die Unbedingtheit selbst.
Aber wenn Wahrheit die Unbedingtheit selbst ist, wie können wir sie dann besitzen?
Man kann die Wahrheit nie besitzen, man kann nur wissen, was man mit dem Wort "Wahrheit" meint, wenn man es ausspricht und anwendet. Nur in Teilen, wie der Richtigkeit von Rechnungen, Beobachtungen usw können wir bedingt sicher sein. Als Wirklichkeitsideal im Ganzen wissen wir nie, ob wir ihre Unbedingtheit ganz erreichen, das heißt, ob die Entsprechungen und Übereinstimmungen stimmen, die Evidenzen ganz überzeugend sind, die Richtigkeit aam rechten Platz ist und die Verantwortung mit voller Konsequenz wahrgenommen worden ist.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------HISTORISCHES:
Seitdem der Kreter Epimenides das Paradoxon des Lügners entdeckte - ("Alle Kreter lügen, ich bin eine Kreter") - war der Selbstwiderspruch als eine Skurrilität in der Welt, den es zu vermeiden galt, und wenn das nicht ging, zu lösen. In Platons Dialogen werden im Zusammenhang der Analyse der Ideen immer wieder paradoxe Sinnzusammenhänge auf ihre Widerspruchfreiheit hin geprüft und geglättet, Aristoteles begründete im Anschluß an ihn die Logik, indem er den Satz vom Widerspruch zur Prämisse gültiger formaler Schlußfolgerungen erhob. Seit dort ist die Logik ein wesentlicher Bestandteil des antiken Bildungsprogramms und gilt als die für Wahrheit zuständige Disziplin, die man in unterschiedlicher Weise in den einzelnen Wissensgebieten fruchtbar machen konnte.
Unabhängig davon behauptet sich aber nach dem Sieg des Christentums die geoffenbarte Glaubenswahrheit der Theologen, die das Paradox des Offenbarungsgeschehens zum prinziliell unhinterfragbaren Ausgangspunkt nah, und lediglich in den einzelnen Begründungs- und Interpretationsschritten mehr oder weniger auf Widerspruchslosogkeit der Argumente achtete. Die ganze miitelaterliche Philosophie ist ein Kampf zwischen mehr theologisch orientierten Denkern, denen der Satz des Widerspruches als Instrument diente, das Offenbarungsgeschehen in Einklang mit dem gesunden Menschenverstand zu bringen, und mehr philosophisch oder praktisch ausgerichteten, die offensichtlich widerspruchloses Selbstverständliches in Einklang mit geoffenbarten Glaubensweisheiten zu bringen suchten. Die theologischen Mystiker dachten vorwiegend in der Tradition von Plotin und Dionysos Areopagita, die philosophischen "Scholastiker" konnten sich auf Augustinus berufen, der exemplarisch für die Folgezeit den Offenbarungsglauben in Einklang mit dem vernünftigen Intellekt interpretiert hatt, ohne dabei die Eigenständigkeit der geoffenbarten Wahrheit zu relativieren.
Mit der Renaissance des Aristoteles im späten Mittelalter und dem immer größeren Vorrang, den mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften die Beschäftigung mit der Schöpfung vor der Beschäftigung mit dem Schöpfer gewann, wuchsen die philosophischen Anstrenungen, die Schöpfung als das "zweite Buch Gottes" als logich widerspruchsfrei zu entziffern und somit das Werk des Schöpfers in seinem Zustandekommen und Funktionieren erfolgreich zu rekonstriere, bis Kant in seinen Kritiken Grenzen und Tragweite solcher Bemühungen zeigen konnte. Nach ihm versuchte der Deutsche Idealismus die Widerspruchsfreiheit als Schöpfungskriterium neu zu interpretieren, indem die dialektische Synthese von Widersprüchen zum Schöpfungsprinzip erhob und damit den Satz des Widerspruches aus einem Korrektiv in ein konstitutives Bauelement transformierte: Letztgegebense mußt jetzt nicht mehr widerspruchsfrei expliziert werden können, sondern erschien selbst als das Resultat einer endlosen Selbstbereinigung von Widersprüchen: Der Schöpfer erstellt sein Werk, indem er in einer endlichen Folge von Schritten Widersprüche aufhebt, die sich ständig auf jeweils neuen Stufen neu bilden. Am Ende steht die unbedingte Widerspruchsfreiheit, weil das Schöpfungswerk als Ganzes vollendet ist. Dieser Auffassung vom Widerspruch ist indirekt noch der folgeträchtige marxistische Sozialismus der letzten beiden Jahrhunderte verpflichtet.
Heute versucht man Selbstwidersprüche in der Natur nicht mehr dialektisch, sondern systemtheoretisch zu deuten, indem man sie als Potentiale der Kreativität (Systemungleichgewichte) ursächlich materialisiert und als Garanten der Stabilitä (Gleichgewichtserneuerungen) rekursiv vernetzt. Daneben hat die analytische Philosophie es noch nicht aufgegeben, das Ganze der Welt widerspruchsfrei einzufangen, wobei sie sich seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts immer wieder erneut mit dem Einbruch von Selbstwidersprüchlichkeit konfrontiert sah. So beendeten 1903 der Aufweis konstitutiver Paradoxien in der Mengenlehre durch Betrand Russell Freges Traum einer widerspruchfreien Rückführung der Mathematik auf die Logik. Gödels Unentscheidbarkeitstheorem von 1932 bedeutete daß Ende von Hilberts Projekt die Mathematik von sich selbst her von unbedingten Axiomen her beweisfest zu machen. 1936 zeigte Tarski, daß der Selbstwiderspruch in der Analyse sich grundsätzlich nur mit Hilfe der Bildung von Metasprachen neutraliseren ließ, die es erlaubten, selbstwidersprüchliche Bedeutungen auf unterschiedlichen Interpretationsebenen definierend sinnhaft zu entschärfen. Damit rückte die Semantik in die Rolle einer Überlogik: Ihr oblag es von nun an, Bedeutungselemente so zu präzisieren, daß logische Selbstwidersprüche von sinnhaften Prämissen her sich lösen konnten. Nach Ludwig Wittgensteins Entdeckung der Sprachspiele glaubten viele, durch Einbettung der Bedeutungsanalyse in kommunikative Diskursformen die intersubjektive Basis für Bedeutungswahrheiten zu erweitern: Metasprachlichen Bedeutungen wurden nun noch metakommunikative Diskursregeln hinzugefügt, die es ermöglichen sollten, Bedeutungswahrheiten argumentativ zwingend zu entscheiden.
Keine dieser Bemühungen ist bis heute von Erfolg gekrönt worden. Weder einer dialogischen Logik (Erlanger Schule), noch einer radikalen Interpretatorik (Simon, Abel), einer normativen Transzendentalpragmatik (Apel und Habermas) noch inferentiellen Bedeutungspragmatik (Brandom, McDowell) konnte es gelingen, mit dem Selbstwiderspruch in letzter Instanz eliminativ fertig zu werden, weil letzte Voraussetzungen nicht bewußt in Wirklichkeit verankert wurden, sondern in vordergründigem Wirklichen hängen blieben. Die dialogische Logik kam über die bedingte Einführung von logischen Partikeln und Prädikatoren nicht hinaus, die Interpretatorik brachte es nie zu einem einheitlichen metassprachlichen Zeichensystem, die Transzendentalpragmatik zu keiner schlüssigen argumentativen Normenbegründung und die inferentielle Bedeutungspragmatik zu keinen normativ ausgewiesenen Begriffsbegründungen. Überall erwies sich der Ansatz als zu eng und leitete wieder Wasser auf die Mühlen derer, die unter der Fahne der Postmoderne der Suche nach der Wahrheit den Abschied gegeben haben hin entweder zu einem erneuerten Pragmatismus in den USA, oder zu einem geläuterten Irrationalismus in Frankreich, der sich jederzeit mit Nietzsche sinnlich stilsieren oder mit Derrida hermeutisch mystifizieren ließ. Das Scheitern der Gegenwartsphilosophe an der Selbstwidersprüchlichkeit ist ein scheitern ihres Wirklichkeitsverständnisses.
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