Wenn Wortbedeutungen generell durch Begriffe bestimmt festgelegt werden, dann die Wirklichkeit durch Seinsbegriffe. Ein Begriff wird zum Seinsbegriff, wenn er auf Sein unmittlabra oder transparent ableitbar bezogen ist.
Wenn Begriffe Seinsdefinitionen sind, warum sind sie dann noch nicht Seinsbegriffe?
Seinsdefinitionen sagen, was etwas "ist". Seinsbegriffe aber sagen, was das Sein "ist". Während sich normale Begriffe sich jeweils auf etwas bestimmtes Wirkliches beziehen, beziehen sich Seinsbegriffe auf die identifizierbare Wirklichkeit als Sein.
Wie beziehen sich Seinsbegriffe auf Sein im Unterschied zu anderen Begriffen?
Seinsbegriffe erläutern direkt, was wir allgemein mit Sein meinen, andere Begriffe erläutern die Bedeutungen von Besonderheiten als das, was sie sind, nicht als das, als was sie als Sein sind.
Aber was ist der Unterschied zwischen dem, was etwas ist, und dem, als was es als Sein ist?
Das "Ist" hat beidemale eine unterschiedliche Bedeutung. Im ersten Fall geht es um die Feststellung einer unverwechselbaren Identität im Unterschied zu anderen Identitäten, die der Unverwechselbar wegen ist, im zweiten Fall um den Sinn von Sein selbst unter diesem oder jenem notwendigen Gesichtspunkt, der des Seins wegen ist.
Wie beziehen sich Begriffe und Seinsbegriffe unterschiedlich auf Wirklichkeit?
Beide meinen Wirkliches als identifiziertes Sein. Aber im ersten Fall geht es um das Wirkliche, wie es "in Wirklichkeit" ist und von den Wirklichkeitsbedeutungen bezeichnet wird, um als Sein identifiziert werden zu können. Im zweiten Fall geht es um das Wirkliche, wie es "in Wahrheit" ist, weil es als Sein identifiziert wurde und danach wahr und falsch sein kann.
Aber was ist der Unterschied zwischen "in Wirklichkeit" und "in Wahrheit"?
Etwas ist "in Wirklichkeit", das sich als etwas Wirkliches von sich her darstellen läßt. Etwas ist "in Wahrheit", das sich als Wirkliches als etwas, was "ist" ausweisen läßt.
Aber etwas, das sich als Sein ausweisen läßt, muß sich doch von sich her darstellen lassen können!
Nicht unbedingt. Etwas stellt sich von sich her dar, wenn es intersubjektiv evident erkannt werden kann. Etwas läßt sich als Sein ausweisen, wenn es als intersubjektiv Evidentes mit dem vereinbar ist, was wir mit dem "Ist" meinen.
Aber intersubjektive Evidenz bezieht sich doch auf das "Ist", Was muß da noch ausgewiesen werden?
Intersubjektive Evidenz bezieht sich eben nicht direkt, sondern nur indirekt auf das "Ist". Es hat einmal einen kollektiven Konsens darüber gegeben, daß die Sonne sich um die Erde dreht, der Augenschein sprach dafür. Als ein Istzustand hätte diese Meinung aber "in Wahrheit" begründet werden müssen, und das hätte bedeutet, die Vermittlungsstrukturen frei zu legen, die ein bestimmtes kosmologisches Weltbild mit dem verbindet, was "in Wahrheit" ist. Der Gang der Naturwissenschaft hat die materiellen und theoretischen Vermittlungsdimensionen so weit zu explizieren verstanden, daß das, was unser Planetensystem als Realität ist, widerspruchslos mit dem vermittelt werden kann, was wir mit Sein meinen. Den Begriff der Realität aber können wir dierekt auf Sein beziehen, wwir brauchen keine empirischen Forschungen, um ihn als etwas, was ist, ausweisen zu dürfen.
Aber wieso ist "Realität" ein Seinsbegriff, "Sonnensystem" aber nicht?
Nur seiner Allgemeinheit wegen. Identifizierbare Wirklichkeit als Sein bedeutet uns als Welt Realität. Die Welt ist als Sein das Insgesamt dessen, was wir unter Realität verstehen, darunter fällt alles Innerwelicliche, alle Kreaturen, Kreativitäten, Dinge, Sachen, Naturgestze usw und natürlich auuch das Planentensystem, das in seiner Gültigkeit und Möglichkeit als das, was ist, aber nicht auf Anhieb verständlich ist. Es muß erst langsam und umsichtig "begriffen" werden.
Aber warum ist innerweltliches Begreifen vorläufig, das von Sein aber nicht?
Weil innerweltliches Begreifen empirisch ist, auf Erfahrung, Theorien, Experimente und Gegebenheiten angewiesen ist, das Begreifen von Sein aber ein analytisches Verfahren ist: Von der unbedingten Prämisse "Sein" ausgehend werden die Bedingungen der Möglichkeit konsistenter Seinsbedeutung gesucht, entfaltet und geordnet.
Was wir "in Wahrheit" erkennen, ist also unmittelbar auf sein bezogen, was nur "in Wirklichkeit", nicht.
Ganz so kann man das nicht formulieren. "In Wahrheit" etwas erkennen können, setzt voraus, daß es einen gültigen Bezugspunkt gibt, auf den die Behauptung sich stützen kann, dieser Bezugspunkt ist im Fall der Seinsbestimmung das Sein. Aber auch diese Prämisse ist ja etwas, was "in Wirklichkeit" ausgewiesen ist und insofern steht bei den Seinsbegriffen das "In Wirklichkeit" an der Spitze, alles Weitere folgt "in Wahrheit".
Und bei nicht reinen Seinsbegriffen ist es umgekehrt?
So kann man es sagen. Auch sie sagen nur etwas, was "ist", wenn es "in Wirklichkeit" und "in Wahrheit" begründet ist. Aber hier geht eine angenommene Wahrheit ihrem Ausweis in der Wirklichkeit voraus. Eine Behauptung darüber, was das Somnnensystem ist, setzt zunächst einmal eine angenommene Wahrheit voraus, wenn es sich nicht um eine beliebige Behauptung handeln soll. Bei genauerem Nachforschen kann sich dann allmählich zeigen, was diese Wahrheit "in Wirklichkeit" "ist", ob sie den Experimenten und zusätzlichen Informationen und Erkenntnissen gegenüber sich bewährt oder ihren Charakter wandeln muß, vielleicht sich als falsch erweist.
Kann in Seinsbegriffen alles mögliche Wissen,von dem, was "ist", erfaßt werden?
Im Prinzip ja, aber nur im Prinzip und eben nur unter den Bedingungen, denen der Begriff unterliegt: Auf der Ebene des Soseins. Seinsbegriffe können alles, was "ist" grundsätzlich als unterschiedenes Sein erfassen, indem sie das Sosein entfalten. Praktisch aber handelt es sich dabei um einen Ausdifferenzierungsprozeß, der zwar ins Unendliche gehen kann, deswegen aber immer nur Allgemeinheiten ausweist, das Besondere also auch auf der Ebene des Allgemeinen errfeichen muß.
Kann man also den Berg "Zugspitze" in einem Seinsbegriff erfassen?
Sie kann als Berg und als Berg in Deutschland auf der Ebene des Soseins eine allgemeine Charakterissierung erfahren. Aber als das sspezifische besondere Seiende "Zugspitze" kann sie niemals in Allgemeines ohne Rest transformiert werden.
Dann bleibt aber doch eine unüberbrückbare Kluft zwischen Seinsbegriffen und Begriffen überhaupt!
Jetzt darf nicht vergessen werden, daß auch Begriffe, die keine Seinsbegriffe sind, das Seiende nur im Allgemeinen des Soseins erreichen. Der kosmologisch entwicklete Begriff des Sonnensystems rekurriert auf die Allgemeine Relativitätstheorie, die sich als Theorie des Raumes direkt auf einen Seinsbegriff zurückführen läßt. Und ihre besondere Rolle als Lebensraum läßt sich unter dem zusammenfassenden Aspekt der Welt als Schöpfung und spezische Lebensumwelt explizieren. Wir müssen eben ganz genau unterscheiden, was wir in diesem und jenem Fall meinen
Die Darstellung in Seinsbegriffen ordnet also die begriffliche Welt überhaupt?
Es kommt darauf an, was wir unter der Welt der Begriffe verstehen. Begriffe sind ja noch weder Gegebenheiten, noch Fakten oder Erlebnisse. Wenn Begriffswelten dadurch gekennzeichnet sind, daß sie die Welt bzw die Realität unter je einheitlichen Gesichtspunkten als das, was unter bestimmten Bedingungen "ist", ordnen, dann können Seinsbegriffe, diese einheitlichen Gesichtspunkte ihrerseits zusammenfassend als das, was unter allen Bedingungen und überhaupt "ist", in eine Seinsordnung bringen.
Seinsbegriffe sind also Ordnungsbegriffe!
Seinsbegriffe ordnen in der Tat die Wirklichkeit über die Seinsdefinitionen des Begriffs. Wenn dabei nicht vergessen wird, daß begriffliche Wirklichkeit nur eine bedingte, aus intersubjektivem Interesse geborene Sicht der Wirklichkeit ist, deren es viele andere gibt, besitzen wir mit den Seinsbegriffen den Schlüssel, der Gesamtorientierung im Grundsätzlichen ermöglicht.
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HISTORISCHES:
Seitdem Parmenides und Heraklit die Entdeckung machten, daß es gilt, den Logos zu begreifen, um die Natur verstehen zu können, gibt es das Bemühen um eine Begrifflichkeit, die dem Ganzen gerecht wird. Wie kein anderer vor und nach ihm hat Platon sich in den Dienst dieser Sache gestellt und immer wieder erneut Behauptungen über das, was im Besonderen ist, an dem gemessen, was im Allge,meinen ist. Platon prüfte den eizelnen Logos auf seinen Zusammenhang mit anderen und übergeordneten so, daß ihm von verschiedenen Ausgängen her und auf verschiedene Anlässe hin das, was ist, als durch Allgemeineres und Grundsätzlicheres vermittelt logisch durchsichtig wurde. Weil Platon aber seine Begriffsanalysen im Zuge einer Erkenntnisproblematik, nicht einer expliziten Seinsbestimmung durchführt, erscheinen am Ende die unbedingten Seinsbegriffe als Ideen, die den Gedanken gleichsam die Orierntierung geben wie das Licht der optischen Wahrnehmung. In diesem (erhellten) Orientierungsfeld liegt dann in der Tat alles, was "ist". Aber es ist nicht recht verständlich, wie das, was sich im Licht als Besonderes zeigt, von dem her bestimmt sein soll, was das Licht spendet. Platons Seinsbegriffe sind deshalb ambivalent: Einerseits sind sie "wertfreie" Prämissen für das, was sicbh aus ihnen logisch ableiten läßt, und andererseits sind sie als das Ziel der Erkenntnis das wahre Sein, demgegenüber das Zufällige allen Seienden und Ereignishaften nur Vorschein ist. Die abendländische Philosophie hat diese Ambivalenz bis heute nicht überwunden. Das begann mit ihrer Verschärfung durch Aristoteles.
Indem Aristoteles in seiner Physik die Ideenprämissen in formende Entelechien umwandelte und die Welt des Seienden in das transformierte, was diesen Entelechien als Material diente, gerieten ihm Seinsbegriffe zu teleologischen Wesenbestimmungen, die einmal Substanzen zu dem machen, was sie sind, zum anderen aber auch die Ordnung unter den Substanzen so einrichten, daß es höhere und niedere Substanzen gibt und dementsprechend dienende und bediente. Seinsbegriffe sind von dieser Vorstellung her Wirkformen, die das Wesen des Seienden als Sollzustand bestimme. , Die Möglichkeit, über das Besondere des Seienden auch noch unabhänging von der Zentralannahme etwas auszumachen, war in diesem Konzept nicht vorgesehen. In seiner nachgelassenen sogenannten Metaphysik hat Aristoteles dann aber auch seiner Logik Tribut gezollt und Kategorien wie Aporien aufgestellt, die seiner Auffassung entsprechend nicht hintergehbar waren. Waren dies nun die eigentlichen Seinsbegriffe? Für Aristoteles waren es redlicher Weise die letzten Prinzipien möglicher argumentativer Rückgriffe, hat er doch den Satz des Widersspruches ganz ernst genommen. Aber im direkten Vergleich mit den teleologischen Wesensbegriffen der Substanzen konnten sie höchstens als Rechtfertigungsprämissen für eben diese Seinsauslegung dienen, nicht aber als Definition, denn dazu wären Begründungszusammenhänge nötig gewesen, die Prioritäten hätte setzen müssen!
Mit dem Christentum seit Ausgustinus verschärft sich der Widerstreit. Einerseits ist man nun bereit, mit dem ersten Satz des Johannisevangeliums den Logos als Gottes Wort und Geheimnis der Schöpfung zu akzeptieren, zum anderen bleiben alle Probleme der realen Welt dabei ungelöst. Seinsbegriffe sind jetzt die Gedanken des Schöpfers, die er seiner Schöpfung zugrunde legte. Aber wie haben sich diese Gedanken zu den unendlich vielen Einzelheiten der Schöpfung ausgefächert? Hier konnte man einerseits an Gottes unerforschlichen Ratschluß appellieren, andererseits aber, mit der Rezeption des Aristoteles im Hochmittelalter, auf Eigengesetzlichkeiten eines Werkes, das möglicherweise rekonstruierbar war. So wie Platons Ideen also im Mittelalter Gottes Wort überantwortet wurden, so das bei ihm den Ideen Untergeordnete der Faktizität einer Schöpfung, die mehr und mehr Gegenstand unvoreingenommener Untersuchungen wurde. Das Ergebnis ist bekannt: Nachdem seit der Rennaissance immer weniger Experten mit dem Sinn vomn Gottes Wort noch etwas anfangen konnten, statt dessen immer mehr genauer hinsahen, was tasächlich "ixt", kam es bald zu der Entdeckung des sogenannten zweiten Buches Gottes: Gott hat nicht nur die Bibel mit seinen Vorschriften und Heilsplänen gestiftet, sondern auch die Welt geschaffen mit deren ehernen Gesetzen. Naturgesetzliche Regelmäßigkeiten rückten nun auf zu der Ebene eines Wortes Gottes, weil offensichtlich Gottes Wort in der Natur die Naturgesetze gestiftet hat oder nach Naturgesetzen in Gang gekommen ist. Das Schlußwort in dieser Entwicklung haben die angelsächsischen Empiriker von Hobbes über Locke bis Hume gesprochen, wenn sie in immer stärkerem Maß herausstellten, daß wir von Gottes offenbarten Wort eigentlich nur wenig wissen können,.von seiner geoffenbarten Schöpfung dafür um so mehr. Seinsbegriffe wurden schleichend zu Allgemeinbestimmungen der Schöpfung.
Nachdem Kant Seinsbegriffe in transzendentale (apriorische) Kategorien umgewandelt hatte und damit wieder einer (halbherzigen) aristotelischen Metaphysik vor dessen Physik den Zuschlag gab, begann der Deutsche Idealismus seit Reinhold, reine Seinsbbegriffe aus dem Bewußtsein abzuleiten und die Unreinen irgendwie mit der Bewußtseinskonstitution in Einklang zu bringen. Von Ficht an galt es nun, ein übergreifendes Bewußtseinsprinzip zu finden, um von dort her Seinsbestimmung durchführen zu können, die alles Wirkliche restlos erklären könne, Fichte selbst suchte dieses noch im Satz des Widerspruches, der frühe Schelling dann schon bald in einer sich bewußt werdenden Natur, Hegel dann in einem absoluten Geist, als den er die Einheit von subjektivem und objektivem Bewußtsein in letzter Instanz ortete. Dagegen setzte Schopenhauer das Leben als die eigentliche Quelle alles Bewußtseins In der Nachfolge vor allem Hegels sind Seinsbegriffe zu billigen Totalitätsbehauptungen degeneriert, die ihre ursprüngliche Herkunft aus dem Bewußtseinsansatz nur noch schwerlich nachweisen konnten. Die gegenläufige Marxsche These, das Sein bestimme das Bewußtsein, war aus keinem anderen Holz geschnitzt: An die Stelle eines verabsolutierten Bewußtseins wurde nun ein sogenanntes Sein gesetzt, das unausgesprochen als materielle und interessenbedingte Realität angestzt war. Und doch haben ganze Generationen von Sozialphilosophen und Sozilogen von dieser Voraussetzung her jahrzehntelang Seinsnalysen durchgeführt und Seinsbegriffe bestimmt.
Mit dem Niedergang des Deutschen Idealismus und dem Ende der sogenannten Bewußtseinsphilosophie (Habermas) schwand auch das Bedürfnis nach Seinsbegriffen:. Weder im Neukantianismus noch in der Phänomenologie Husserls bis hin zu Heidegger nahm man Bezug auf sie. Die sich allmählich entwickelnde analytische Philosophie wollte sowieso nur die Welt beschreiben wie sie "ist", nicht das Sein. Die aus ihr hervorgehenden logischen und sprachanalytischen Strömungen legten nur noch Wert auf Intersubjektivität, nicht mehr auf möglicherweise vermittelnde Seinsbegriffe. Und alle philosophischen Bewegungen, die sich der Evolutionstheorie Darwins verschrieben, interessierten sich nur noch für die Anpassungsmechanismen von Lebewesen an die Realität, wenn sie in die Nähe von Seinsbegriffen gerieten, nicht mehr für deren Apriorität, denn diese Frage war ja angeblich durch die historische Genetik entschieden. Wenn in solchen Kontexten, wie etwa bei Kornrad Lorenz (So auch Schumacher: "Rat für die Ratlosen") in Berufung auf Nicolai Hartmann, doch noch Seinsbegriffe wiederzufinden sind, dann beziehen sie sich auf Verallgemeinerungen von hierarchischen Erscheinungen eines durchgängig Seienden in der Welt, nämlich anorganischer Materie, organischer Materie, psychischer Materie und Geist. Diese Beobachtung zu machen und zu verifizieren, steht jedem frei. Es läßt sich auch schwerlich bezweifeln, daß es diesen Befund gibt und daß insofern eine chronologische Reihenfolge des Späteren und Komplexeren, Umfassenderen und letzthin Mächtigeren aufgestellt werden darf. Aber als was werden diese Schichten (Hatmann) gedacht? Als etwas, was sich innerhalb der Schöpfung zielgerichtet ereignet hat? Als etwas, das immer zutreffender Seinskenntnis mächtig ist? Als etwas, das wir selbst sind, insofern wir aus Materie bestehen, leben, psychisch zurechnungsfähig sind und geistig für anderen Geist offen?
Seinsbegriffe als Welt- bzw. Realitätsverallgemeinerungen lassen außer Acht, daß ihre Konzeption nur möglich ist in einem bestimmten ereignishaften Horizont und aufgrund bestimmter wissenschaftlicher Daten und begrifflicher Vorgabe, .die jederzeit hinterfragbar sind. So legitim es ist, das weltliche Sein analog eines Schichtenmodells zu begreifen, so unlogisch ist es doch, dies mit dem Sein der Welt gleichzusetzen oder gar mit einer Seinsbegrifflichkeit, für die es keine Alternative gibt. Seinsverallgemeinerungen der Welt scheitern an den Individualitäten des Daseins, deren Eigenexistenzen auf materieller Basis nicht erklärbar sind. Die aristotelische teleologische Seinsbegrifflichkeit überwintert deshalb heute in ihrer materialen Variante in einem weitgefächerten ökologischen Grundverständnis der Natur, die den Menschen als Naturwesen miteinbegreift und im Blick die Erhaltung von Gleichgewichtszuständen Orientierung gibt: Seinsbegriffe sind dort die Prämissen natürlicher Lebensbedingungen. In ihrer formalen Variante hat sie einem immer populärer werdenen Systemdenken Platz gemacht, das sich als die naturwissenschaftlich geläuterte Weiterentwicklung traditioneller teleologischer, dialektischer, bewußtseinsreflexiver und schichtenorientierter Modelle verstehen darf. Seinsbegriffe werden jetzt vom Ansatz her als Systembegriffe verstanden, mit deren Hilfe es möglich ist, materiale teleologische Natureigenschaften zu rekonstruieren, erkenntnis- und bewußtseinsabhängige Perspektiven zu berücksichtigen und evolutionäre Kreativität als Funktion von Systemungleichgewichten verstehbar zu machen. Vom Radikalen Konstruktivismus eines von Förster, Glasersfeld und Watzlawick angefangen bis hin zur Synergetik eines Haken, der Biosoziologie eines Maturana und der universalen Systemtheorie eine Luhmann wird dabei die These vertreten, daß die Strukturen der Wirklichkeit neuronale Produkte des Gehirns sind. Seinsbegriffe sind hier die vom Gehirn erzeugten intersubjektiven Strukturen der Wirklichkeit, wobei dann die Frage offen bleibt, ob es sich dabei um eine regelrechte Erschaffung der Realität handeln soll, oder um eine Anpassung an sie. So wie die Realismusproblematik auf diesem Boden nicht stillgestellt werden kann, so kann das Systemdenken auch keine Antwort auf die offenen Frage der Bedingungen der Möglichkeit von Systemen überhaupt noch auf der praktischen Lebensführung geben. Denn "systemgerechtes Handeln" als Antwort auf die Frage, was wir tun sollen, wird in jedemFall entweder zu weite oder zu enge vestanden werden müssen.
Indem Max Weber auch gegen seine neukantianischen Freunde konsequent darauf bestand, die Wissenschaften hätten die logische Kluft zwischen Sein und Sollen zu beachten, erinnerte er wieder an die (seit Hume bekannte) und vom Kant der Kritiken bereits implizit befolgte Regel, daß Seinsbegriffe, selbst wenn sie sich auf Wertungen beziehen, wertfrei sein müssen, um Objektivität gewährleisten zu können. Ein Begriff ist kein Begriff mehr, wenn er lediglich subjektive Wertungen zum Ausdruck bringt, und Sein ist kein Sein mehr, wenn es sich nicht mehr auf das bezieht, was "ist", sondern auf das, was aus irgendwelchen Gründen als wünschenswert oder gesollt vorgegeben wird. Mit Webers bereits vor hundert Jahren (1904) erstmals veröffentlichten sogenannten Werturteilspostulat der Sozial- un Geschichteswissenschaften hat sich die Wissenschaft insgesamt bis heute sehr schwer getan, die Philosophen sind noch immer damit beschäftigt, das Postulat zu relativieren, abzuschwächen oder umzudeuten. Die Wissenschaftler wollen in der überwiegenden Mehrzahl noch immer nicht wahrhaben, daß sie es nicht mit dem Sein selbst, sondern nur mit konstruktiv vermitteltem Sein zu tun haben, deshalb überfrachten sie ihre Theorien und mißverstehhen partikulare Fachperspektiven der Realität noch immer mit Seinsgrundlagen der Wirklichkeit. Die Philosophen gehen immer noch davon aus, die traszendentalen Seinsfragen theoretisch bewältigen zu dürfen, so als ob es nur einer neuen Theorie bedürfte, um ein neu auftretendes philosophisches Rätsel zu lösen. Die Präsentation einer eigenständigen Theorie scheint immer noch die Voraussetzung dafür zu sein, als Ordinarius eines philosophischen Lehrstuhles etwas gelten zu können. So wie die wissenschaftliche Überfrachtung aber von Theorien vergessen läßt, daß Begriffe immer bedingt und als Seinsbegriffe Theorien vorgeordnet sind, so zeugt die philosophische Theorienflut, daß sich die eigentlichen Fachleute für das Ganze immer noch nicht völlig darüber Klarheit verschafft haben, wie man sich Seinsbegriffen adäquat nähert.
Karl Jaspers ist der einzige bedeutende Philosoph, der Max Webers Postulat ganz ernst genommen und versucht hat, die philosophischen Konsequenzen zu ziehen. Seine frühe Existenzphilosophie überantwortete alle objektive Seinsobjektivierung unter dem Titel "Weltorientierung" den Wissenschaften, behielt für die Philosophie nur noch die subjektive Exestenzerhellung zurück, deren Bedingungen der Möglichkeit zu explizieren waren, und zeichnet aus dieser Perspektive die Möglichkeiten einer Metaphysik, die alle Seinsbegrifflichkeit im Transzendieren von Seinsgrenzen im Chifferndenken hinter sich gelassen hat. Diese Metaphysik als Chifferndenken handelte sich den fast einhelligen Einwand der Fachkollegen ein, zu unverbindlich zu sein. Und doch hatte Jaspers nur an die Seinsdimension (Transrealität, Transzendenz, Transintelligibilität, Mysterium, Paradox) erinnert, innerhalb derer Metaphysik sich allein kritsch und selbstreflektiert verantwortlich legitimerweise bewegen kann. Der späte Jaspers hat auf diese Kritik reagiert. Seine "Philosophische Logik" markiert die Seinsgrenzen genauer als unbedingte Ursprünge von Wahrseinskönnen in Seinsbegriffen, die er im Überbegriff "Umgreifendes" zusammenfaßt und zu systematisieren sucht. Dieser Versuch versteht sich aber erklärterweise ausschließlich als Erhellung der Subjekt-Objekt-Spaltung und hält sich streng an den Grundsatz, daß alle Seisnanalyse Bewußtseinsanalyse sei. Der systematische Zusammenhang der sieben Seinsweisen des Umgreifenden, die Jaspers unterscheidet, läßt deshalb logisch viele Fragen offen , bleibt in der Einführungssituation unvermittelt und in der ausschließlich phänomenalen Ursprungsbeschreibung in vielem unscharf. Es ist deswegen verständlich, daß auch dieser Versuch von Jaspers der Erneuerung einer platonischen Seinsbegrifflichkeit, von ihm so selbstverständlich wie unentwegt als "Grundwissen" vorgetragen, keine Schule gemacht hat. Nicht einmal Hannah Arendt, unbestreitbar der engste Kommunikationspartner, konnte mit ihm etwas anfangen.
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Insofern Seinsbegriffe sagen, was Wirklichkeit unter diesem oder jenem Gesichtspunkt als jeweils etwas Wirkliches bedeutet, setzen sie dem Wirklichen Grenzen, indem sie diese als wirkliche explizieren: Seinsbegriffe sagen einfach immer genauer, was Wirklichkeit in jeweils bestimmtem Sinn ist und stehen somit durchgehend mit Wirklichkeit direkt in Verbindung im Unterschied zu den vielen möglichen indirekten Verbindungen wissenschaftlicher oder alltäglicher Begriffe usw. Physikalische, biologische Begriff usw beziehen sich beispielsweise natürlich auch auf Wirkliches, aber in theoretischen, methodischen oder technischen Absichten, die mit dem Verständnis bestimmter Funktionszusammenhänge in der Welt, verbunden sind, nicht mit dem unbedingter Bedeutungen von Wirklichkeit überhaupt.