Identifizierte Wirklichkeit als etwas Wirkliches ist das, was "ist", mithin das, was wir "Sein" nennen. Nur identifizierbare Wirklichkeit als Sein kann wahr oder falsch sein. Intersubjektive Wirklichkeit ist als wahrheitsfähiges Wirkliches Sein.
Können wir demnach die Wirklichkeit mit dem Sein gleichsetzen?
Natürlich nur als identifiziertes Sein. So lange wir nicht sagen, was wir mit Wirklichem meinen, können wir auch nicht behaupten, das Wirkliche "ist".
Aber wir stellen und doch Wirklichkeit immer als etwas vor. Haben wir es demnach nicht immer nur mit dem Sein zu tun?
Das ist richtig. Aber eben nur mit vorgesetllter Wirklichkeit, nicht der Wirklichkeit an und für sich. Das Sein ist nur die vorgestellte Wirklichkeit und insofern ist "Wirklichkeit" die umfassendere Bedeutung. Das Sein ist immer wirklich, aber Wirklichkeit muß nicht unbedingt Sein sein.
Was ist Wirklichkeit, wenn kein Sein?
Jedenfalls das, was sich hinter unseren Vorstellungen von Wirklichkeit verbirgt, wenn wir sie uns machen. Was immer wir als Wirkliches beim Namen nennen: Es handelt sich um eine stillgestellte Wirklichkeit, um etwas Bestimmtes, dessen Bestimmbarkeit nicht aus der Bestimmung abgeleitet werden kann, sondern Bedingungen der Möglichkeit hat, die in der unhintergehbaren Wirklichkeit selbst wurzeln.
Aber indem wir das Wort "Wirklichkeit" nennen, haben wir doch Wirklichkeit bereits in Sein verwandelt!
In der Tat haben wir mit dem Namen "Wirklichkeit" eine Identifikation vorgenommen, die Wirkliches in Seinverwandelt. Allerdings haben wir mit der Unhintergehbarkeit von Wirklichkeit zugleich eingeräumt, daß hier etwas identifiziert wurde,was prizipiell gar nicht mehr identifizierbar ist. Das Wort "Wirklichkeit" bedeutet also den Übergang, an dem Wirkliches zu sein wird.
Und wie genau verwandelt sich Wirkliches bei "Wirklichkeit" in Sein?
Indem wir eben genau sagen, was wir mit "Wirklichkeit" meinen. Wirklichkeit ist als Wirklichkeit das Sein der Grenze, das lediglich bedeutet, daß etwas "ist", was unerklärlich ist, dessen Unerklärlichkeit wir aber genauer präzisieren können. "Wirklichkeit" ist also in ihrer Unerklärbarkeit Sein, in ihrem Sein aber als das schlechthin Unerklärbare das Sein, das als das Sein des Seins in letzter Instanz sagt, was Sein "in Wirklichkeit" meint, nämlich Wirkliches.
Und was ist nun das Sein der Wirklichkeit?
So wie die Wirklichkeit des Seins identifizierte Wirklichkeit ist, so ist das Sein der Wirklichkeit die identifizierte Wirklichkeit als alles Wirkliche. Das Sein der Wirklichkeit ist das, was alles Etwas als je existierendes Etwas in Wirklichkeit, in Wahrheit und in Gemeinsamkeit ist.
Was wäre das Sein als alles Etwas?
Dafür habe wir den Namen der Welt. Die Welt ist das Insgesamt von allem Wirklichen, das als Wirkliches irgenwie identifiziert werden können muß.Was immer als Wirkliches "ist", es muß in der Welt sich ausweisen lassen.
Und warum ist nicht alles Wirkliche Welt, die Welt also der weitere Horizont als Wirklichkeit und Sein?
Weil wir uns auch noch das Außerhalb der Welt Jenseits denken können. Wenn wir, um etwas zu denken, immer eine Welt brauchen, so können wir uns doch auch eine Welt als etwas denken, in der alles anders ist als in jeder möglichen Welt. Eine andere Wirklichkeit können wir uns nicht mehr denken, weil jede andere Wirklichkeit als "Unwirklichkeit" ihren Sinn verlöre.
Was wäre das Sein als je existierendes Etwas?
Der Inbegriff aller Ereignisse und allen Ereignishaften. Was in der Welt ist befindet sich in der Zeit in je unterschiedlichen Zuständen und Relationen. Was immer als Wirkliches "ist", es muß sich in einem bestimmten Zustand befinden oder Sachbestand verhalten. Das gilt auch für abstarkte Ideen und Gegenstände. Eine mathematische Funktion beispielsweise ist nur "wirklich" , wenn sie in Naturgesetzlichkeiten zum Ausdruck, in Rechenerwägungen zur Anwendung oder in ganz bestimmten theoretischen Zusammenhängen einen Stellenwert hat. Auch das zeitlose Etwas des Satzes des Pythagoras hat seine Zeit: Jahrmillionen wußte kein Lebewesen von ihm, nach seiner Entdeckeung bis heute dient er in unterschiedlichen Interpretationen und Funktionen bestimmten Handlungszwecken.
Und warum ist nicht "Ereignis" der weitere Horizont als Wirklichkeit und Sein?
Weil wir uns den absoluten Anfang und das absolute Ende von Ereignishagftigkeit denken können. Wir können uns eine Zeit vor dem Urknall und nach dem Ende der Welt denken, auch wenn wir keine Vorstellungen davon mehr zu realisieren vermögen. Der Anfang oder das Ende der Wirklichkeit können wir aber als ein Wirkliches uns verständlich machen, das unsere Vorstellungen von Ereignishaftigkeit übergreift.
Warum lassen sich "Welt" und "Ereignis" nicht als etwas Wirkliches im Sein des Wirklichen zusammendenken?
Wäre Ereignishaftigkeit ein notwendiges Bedeutungsmoment von Welt, dann dann müßten Beständigkeit und Wandel auch notwendig zusammengedacht werden können. Es gibt aber Beständiges, wie eine Zahl oder der Satz des Pythagoras, das sich nicht wandelt und lediglich im Ereignishaften Unterschiedliches bedeutet. Und es gibt Wandelbares, wie eine Rede oder ein Fußballspiel, das in der Zeit Anfang und Ende hat, und lediglich durch Regelhaftigkeit in Beständiges eingebunden ist und durch Erinnerung aud Aufbewahrung in Beständiges überführt werden kann.
Und was wäre das Sein "in Wahrheit"?
Die Wirklichkeit als Sein wäre als alle identifizierte Wirklichkeit alle Wahrheit, mithin die absolute Wahrheit für jedermann, die aber nur dann zugänglich sein könnte, wenn die Wirklichkeit selbst hintergehbar wäre. So ist zwar alles Wirkliche als Sein für intersubjektives Wissen entweder wahr oder falsch, aber die Wahrheit ist kein Besitz und muß gesucht und gefunden werden. Die ganze Menschheitsgeschichte, ja Evolution überhaupt, kann als ein Wahrheitsgeschehen interpretiert werden, in dem immer mehr offenbar wird, was Wirklichkeit intersubjektiv evident "ist".
Und warum ist nicht Wahrheit der weitere Horizont als Wirklichkeit und Sein?
Weil auch die Unwahrheit wirklich "ist". Solange die absolute Wahrheit nicht zur Verfügung steht, gibt es auch die Unwahrheit als Noch-nicht-Wissen, Täuschung usw. Die aber als Sein gedachte absolute Wirklichkeit beinhaltet alle mögliche Wahrheit und geht daher jeder Wahrheitsbehauptung voraus, die mehr über Wirkliches aussagen will, denn die Unhintergehbarkeit.
Und warum muß die Wirklichkeit von Wahrheit von Ereignis und Welt getrennt werden?
Weil wir sowohl die Welt, wie das Ereignishafte nur auf Wahrheit hin überrprüfen können, wenn wir diese als intersubjektiv evidentes Kriterium unabhängig davon ansetzen. Würde uns Wahrheit mit Welt zusammenfallen, gäbe es keine experimentelle Forschung, würde sie mit der Ereignishaftigkeit zusammenfallen, wäre alles relativ.
Und was wäre das Sein "in Wirklichkeit"?
Das, als was es vom Subjekt jeweils konkret erfahren wird. Was Wirklichkeit identifizierbar ist, erfährt seine Identifikation im Akt des ihr begegnenden und sie verifizierenden Subjekts. Was für alle Subjekte alles "ist", meint Sein "in Wirklichkeit" als all das, als was Wirkliches identifizierbar und identifiziert ist.
Geht dann die Subjektivität nicht doch Wirklichkeit und Sein voraus, weil ohne sie nichts wirklich ist?
Schön wäre es, wenn, wie die Esoteriker und Solipsisten es wollen, alles, was es gibt, vom Subjekt abhängig wäre oder gar von ihm geschaffen. Gewiß wissen wir nicht, was das Wirkliche nach dem Tod des Subjekts bedeutet. Gewiß wissen wir aber, daß es Welt. Ereignis und Wahrheit auch dann noch gibt, wenn einzelne Subjekte sterben. Wir können z.B. den Anfang der Welt auch nicht deswegen als eine Fiktion abtun, weil kein uns bekanntes Subjekt dabei war usw.
Muß man dann aber das Subjekt nicht doch als selbständige Wirklichkeitsbedeutung dementieren?
Am Subjekt kann man nicht vorbeikommen, so sehr das auch immer wieder viele versucht haben. Das Leben kommt zwar aus der Welt, alle Welt erscheint aber nur für Lebewesen. Das Leben ist zwar eine Erscheinung je seiner Zeit, aber jede Epoche entfaltet ihren Horizont mittels der Lebewesen. Und schließlich gibt es die Wahrheit sicher auch ohne die Subjekte, sonst wäre es keine. Aber nur die Subjekte können nach Wahrheit fragen und sie suchen. Nur für diese hat sie einenen Sinn.
Wie steht es dann aber zusammenfassend um das Sein: Kann es Wirklichkeit als Nicht-Sein geben?
Sein setzt Wirklichkeit voraus, und nicht umgekehrt, denn die Negation von Wirklichkeit ist sinnwidrig, die Negation von Sein nicht. Das Nichts als das Gegenteil des Seins "ist" immer noch etwas Wirkliches, das Unwirkliche aber ist kein identifizierbares Sein mehr.
Und wie kann man Sein zureichend als etwas Wirkliches kennzeichnen?
Das Sein ist alles Wirkliche als etwas bestimmbares Wirkliches. Solange das Wirkliche unbestimmt bleibt, ist es das Sein in seiner möglichen Identifizierbarkeit: Man denke an die logischen Schwierigkeiten der Quantenphysik! Im Augenblick der Identifikation verwandelt sich die bloße Seinshaftigkeit in bestimmte Seinsweisen. Bisher nur mögliches Bestimmbares verwandelt sich durch den Akt der Identifikation in notwendig Bestimmtes, das lediglich inhaltlich wiederholt, zeitlich aber nicht mehr als einmalige Handlung rückgängig gemacht werden kann.
Und wie kann man Sein als Sein bestimmen?
Sein als Sein ist immer intersubjektive Wirklichkeit, weil eine Identifikation von Wirklichkeit sich intersubjektiver Medien bedienen muß. Beim Sein als Sein ist es das Wörtchen "ist", as intersubjektiv verständliche Wirklichkeit unterstellt.
Und was wäre alles Sein?
Es wäre alles, was es in der Welt überhaupt gibt, was sich überhaupt ereignet, wahr ist und erfahren werden kann und wurde .All das ist das, was "ist", weil es etwas Bestimmtes sein kann. Was nicht, muß deswegen nicht nicht wirklich sein, ist aber unbestimmt. Alles Sein ist all das, was bestimmbar möglich ist.
Und was wären die Grenzen des Seins?
Es gibt gegenwwärtige und grundsätzliche Grenzen. Die gegenwärtigen Grenzen des Seins sind alle möglich Wirklichkeitsidentifikation, die zu einer jeweiligen Zeit verborgen oder ausgeschlossen sind: Seinsgegenwart ist immer jeweilige Ausschnittsgegenwart. Die grundsätzlichen Grenzen sind die Bedingungen der Möglichkeit von Wirklichkeit überhaupt, die jeder Seinsgegenwart zusätzlich vorausliegen.
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
HISTORISCHES.
Seitdem Parmenides behauptet hat, alles sei Sein, weil es das Nichts nicht geben könne, diskutieren Philosophen die Seinsfrage, ohne daß es dabei bis heute zu einer konsensfähigen Übereinstimmung gegeben hätte, was mit dem Sein gemeint sein könne, noch welche Rolle für die Philosophie diese Frage überhaupt haben kann. So spielt in der angelsächsischen analytischen Philosophie die Seinsfrage fast keine Rolle. Dagegen hat Martin Heideggers epochemachendes Frühwerk "Sein und Zeit" sie radikal so neu gestellt, als gälte es ihren ursprünglichen Sinn aus der kollektiven Vergessenheit zurückzugewinnen. Aber nicht einmal in seiner dirketen Nachfolge ist es Philosophen gelungen, sich über den Sinn von Sein, den Heidegger einforderte, zu verständigen. Weil das Verhältnis von Sein und Wirklichkeit bis heute ungeklärt ist, gibt es auch keinen Konsens über die Bedeutung von "Sein" und den Umgang mit ihr. Die Postmoderne betrachtet deswegen das Thema als erledigt. Wie konnte es dahin kommen?
Für Parmenides war einmal die Entdeckung des Logos gleichbedeutend mit der Entdeckung der absoluten Wahrheit als das, was ist und sein kann. Im Logos ist auch das Nichts noch etwas Gedachtes und Ausgesprochenes, mithin nicht etwas, was aus dem Logos herausfällt. Das ändert sich, als Platon den Logos seinerseits in seiner vielfältigen Gegebenheit und wechselhaften Verflechtung entdeckte und untersuchte: Auf der Suche nach dem einen wahren Logos bleiben ihm die unbedingten Ideen als Letztgegebenheit, auf die hin alles Bedingte dialektisch dem Satz vom Widerspruch folgend zugeordnet werden konnte. Das Sein (to on) erschien nun als ein Moment der Wahrheit (aletheia), der identifikatorisch vorausgesetzt werden mußte, um zur Wahrheit kommen zu können. Virtuos erörtert Platon in seinem "Parmenides" die Dialektik von Sein und Nichts so, daß am Ende deutlich wird, was Parmenides eigentlich gemeint haben könnte. Und akribisch geht sein "Sophistes" dem "Sein" des Sophisten nach, so daß exemplarisch gezeigt wird, welche klärende Funktion das Sein bei der Identitätszuschreibung hat. Platon hat tatsächlich "Sein" als identifizierbare Wirklichkeit verstanden. Weil er aber über keinen explizierten Wirklichkeitsbegriff verfügte, brachte er diese Wirklichkeit mit den höchsten Ideen des Guten, Wahren und Schönen zusammen, und transportierte damit ein inhaltliches Wirklichkeitsverständnis, nach dessen selbständigenm Sein "in Wahrheit" und "in Wirklichkeit" natürlich jederzeit abermals gefragt werden konnte. Damit war der Grund für alle späteren Mißverständnisse gelegt.
In dem Maße, in dem Aristoteles die Ideen als Substanzen, das spätere Christentum als Schöpfungsgrundlage denken, verliert der Seinsbegriff seine universale identifikatorische Geltung. Aristoteles stellt die vielfältige Bedeutungen von Sein heraus und sucht sie in Kategorien relational auf das Substanzielle zu ordnen, das spätere Christentum bemüht sich immer wieder erneut um Klassifikation des Geschöpflichen als dem, was "ist", dessen Letztgegebenheiten zunächst mehr augustinisch offenbarungsinterpretatorisch als Schöpfungshandlungen, später eher aristotelisch schöpfungsbeschreibend als "Entia und Essentia" (Thomas) angenommen wurden. Noch die neuzeitliche Metaphysik bis zu Kant kann mit dem Seinsbegriff wenig anfangen. Unter dem Eindruck des Erfolges der empirischen Wissenschaften galt es nun nicht mehr zu deklamieren, was ist, sondern danach zu forschen: Die Angelsachsen wollen genauer wissen, was das Sein als Erfahrung ist, Descartes, Leibniz und Spinoza das, was in der Erfahrung als Schöpfungsidee hell werden kann. Am Ende erklärt Kant die Bedeutung von Sein als inhaltsleer, weil lediglich der Kopula entsprechend. Weitergehende Bedeutungen von "Ist" werden von ihm kategorial geordnet und als Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt unserem konstitutiven Erkenntnisvermögen zugeschlagen. Weil Kant aber auch das "Ding an sich" für unerkennbar erklärte und das Ganze dialektisch in Ideen verankerte, über die spekuliert werden durfte und metaphysisch weiter nachgedacht, ähnelte die Nachfolgesituation der Platons: Es war sehr wohl möglich, sich einerseits über das "Ist" der von Kant verordneten Erkenntnisgrenzen Gedanken machen, als auch andererseits das Sein von Grenzen zu thematisieren, aus denen normatie Postulate gefolgert wurden.
In zwei großen Anläufen wurd noch einmal versucht, das Sein als Grundbegriff der Philosophie zurück ins Spiel zu bringen. Auf der zeitlichen Endstufe des Deutschen Idealismus hat Hegel versucht, das Denkbare mit dem Sein beginnen zu lassen und somit die Logik als Seinslogik zu begründen. Das Ganze aber war eingebettet in eine Metaphysik des sich selbst denkenden und zu sich selbst kommenden absoluten Geistes als Subjektivität schlechthin, dessen eigenes identifizierbares Sein spekulativ erschlossen, nicht aber argumentativ ausgewiesen wurde. Weil Hegel die Differenz von Wirklichkeit und Sein nicht beachtete, verwechselte er das Sein der Wirklichkeit mit der Wirklichkeit des Seins: Er konstruierte eine Wirklichkeit als logisches Sein, deren Voraussetzungen als wirkliches Sein nur spekulativ waren.
Der von Edmund Husserl angestoßene phänomenologischen Aufbruch um die vorletzte Jahrhundertwende brachte eine vielfache Rückbesinnung auf "unhintergehbar Letztes", "ursprünglich Gegebenes", "voraussetzungslos Geltendes" und "anfänglich Gewordenes". In diesem Zusammenhang ist es verständlich, daß auch die Seinsfrage wieder ernst genommen werden konnte. Nicolai Hartmann postulierte direkt eine neue Ontologie und suchte nach Kategorien,mit deren Hilfe das Gegebene durchgängig durchtränkt ist. Karl Jaspers entdeckte die Existenz, und explizierte in seiner Existenzerhellung die universalen Voraussetzungen, die Existenz verständlich machen können. Der frühe Martin Heidegger ortete das Dasein als Urphänomen und entfaltete in einer sogenannten Fundamentalontologie deren kategorialen Eigenschaften als "Existentialien" im Sinne einer Propädeutig, dem Sinn von Sein zureichend gewachsen werden zu können. Vom Denken des explizierten Dasein her geriet ihm dann aber die Frage nach Sein des Seienden immer mehr zu einer Rückfrage nach den Anfängen der abendländischen Denkgeschichte, von woher ihm alles was "ist" in Wahrheit als ein Seinsgeschick erschien, dem der einzelne ohnmächtig ausgeliefert ist. Jean Paul Sartre hatte im Anschluß an ihn bereits im zweiten Weltkrieg in seinem Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" existenzielle Freiheit mit "Sein" gleichgesetzt und anschließend ebenfalls bitter einsehen müssen, daß zum Sein mehr gehört als nur das freie Entscheidenkönnen: Während Heidegger ein Seinsdenken als Andenken im Sinne einer gelassenen Seinsfrömmigkeit entwickelte, nahm Sartre seine Flucht zum Marxismus, Intellektualismus, Maoismus, fast Terrorismus.
Im Rückblick ist von dem phänomenologischen Seinsdenken nicht viel übriggeblieben: Hartmann ist (von Konrad Lorenz abgesehen) vergessen, Jaspers nie wirklich rezipiert worden, Heidegger von der Postmoderne beerbt und Sartre so unverkennbar gescheitert wie noch kein Philosoph vor ihm, wenn er in den "Wörtern" von seiner persönlichen Phase zur Zeit von "Das Sein und das Nichts" bemerkt, von einer Neurose befallen gewesen zu sein. Das Sein ist eben kein Letztphänomen als etwas Wirkliches, sondern etwas Wirkliches als die identifizierte Wirklichkeit, die Letztphänomene überhaupt erst möglich macht. Nicolai Hartmann konnte nie zeigen, wie seine Seinskategorien die "Logik der Forschung" begründen. Sie wirkten vielmehr wie nachträglich hinzugedacht und nur dem einen Interesse dienend, Beständigkeiten in der Welt zu klassifizieren. Die Existenzphilosophie von Jaspers konnte niemals nachweisen, wieso das existenzielle Sein ursprünglicher sein soll als das einer materiellen Welt, die ja Leben und Existenzn überhaupt erst möglich gemacht hat. Heidegger konnte das Sein des Da nicht von sich her so denken, daß nicht immer noch die Frage nach dem Woher ins Haus stand, an die sein späteres Denken sich dann folgerichtig verlieren mußte. Und Sartre war im Ansatz noch der aristotelischen Substanzdenken verhaftet geblieben, indem er, (als guter Franzose) fraglos in der cartesischen Tradition stehend, vom Dualismus zweier Letztsubstanzen ausgegangen war.
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
.