Wirklichkeit für alle

Klärungswirklichkeit ist, was klärbar für alle ist. Klären heißt dabei noch nicht Erklären, Orientiren, Besinnen oder gar Lösen! Im bestimmten Unterschied zu diesen allen ist klärbare Wirklichkeit nur das, was für jeden einsichtig vorausgesetzt werden muß, wenn überhaupt über irgend etwas sinnvoll gesprochen werden können soll.

Aber wenn ich die Wirklichkeit kläre, dann sage ich doch, was die Wirklichkeit "ist"!

Sicher, aber doch nur so, wie sie für uns alle gleicherweise sich darstellt. Denn wenn ich dabei nur ausdrücken würde, bei welcher Musik ich selbst z.B. glücklich bin bzw. welche Landschaft mir besonders liegt, dann würde ich nur meine persönlichen Bewertungen der Wirklichkeit mitteilen, nicht aber die Wirklichkeit klären.

Die Wirklichkeit klären heißt also, herauszufinden, was sie für alle ist?

Eben, und dabei muß man Abstriche machen. Denn es ist ja klar, daß nicht jeder die Wirklichkeit mit den gleichen Augen sehen muß, wie ich selbst, daß nicht jeder dieselben Erfahrungen gemacht hat, wie ich selbst, daß nicht jeder dieselben Veranlagungen hat, die Wirklichkeit rezipieren zu können, wie ich selbst und nicht jeder deshalb die Erkenntniskompetenz hat usw. wie ich selbst.

Wenn die Wirklichkeit so subjektiv ist, was gibt es dann noch überhaupt zu klären?

Die Wirklichkeit ist ja nicht nur subjektiv, sie ist ja auch intersubjektiv. Ich kann ja z.B. subjektiv sagen. daß mir ein entgegenkommendes Auto gar nichts bedeutet, weil ich es für eine Schimäre halte, aber intersubjektiv ist dann doch der Fall entschieden, wenn ich von dieser angeblichen Schimäre überfahren und für die anderen ersichtlich ins Jenseits befördert worden bin.

Klärungswirklichkeit ist also das Gegenteil von subjektiver Wirklichkeit?

Nicht unbedingt. Auch die subjektive Wirklichkeit muß geklärt werden können und ist deshalb der Klärungswirklichkeit zugänglich. Aber was geklärt wird, ist intersubjektiv gültig, nicht subjektiv,

Dann ist also Klärungswirklichkeit doch intersubjektive Wirklichkeit!

Insofern sie für alle gelten will, ja. Aber natürlich kann sich nichts der Klärung, wenn sie frei sein soll, entziehen. Auch die Subjektivität muß klärbar sein, natürlich auch die Welt, die Ereignishaftigkeit und die Intersubjektivität selbst. Und wenn es um das Ganze geht, dann muß man verlangen können, daß wenigstens die Voraussetzungen geklärt sind, von denen her argumentiert wird.

Klärungswirklichkeit ist also die Wirklichkeit, wie sie für alle gelten soll!

Für alle so, daß man sich widerspruchslos darüber verständigen kann, ohne dabei seine eigenen Ansichten, Bewertungen und Beurteilungen deswegen unterdrücken zu müssen. Es geht ja bei der Klärungswirklichkeit nicht darum, für jedermann Vorschriften über die Wirklichkeit zu machen, sondern zu sagen, was alle unter Wirklichkeit zu verstehen haben, wenn sie sinnvoll über sie sich verständigen wollen.

Aber wie kann man sich unterstehen, festzuschreiben, was alle unter Wirklichkeit zu verstehen haben?

Indem man zeigt, was subjektiv überall gleich ist. Wenn alle unterschiedlich erfahren, empfinden, fühlen, wissen und denken, dann sprechen sie doch miteinander über das Erfahrene, Empfundene, Gefühlte, Gewußte und Gedachte so, als ob jdermann es verstehen können sollte.

Das wäre dann aber nur in der Verständigung so!

In der Tat hat Klärungswirklichkeit überhaupt nur einen Sinn, wenn wir uns verständigen wolllen. Wenn die Verständigung von vorn herein gleichgültig ist, dann bleibt die Wirklichkeit in ihren jeweiligen Bereichen subjektiv. Nur,wenn wir bereit sind für Verständigung, wird Klärungswirklichkeit für uns überhaupt interessant.

Und wer sich nicht verständigen will, für den gibt es die Klärungswirklichkeit nicht?

Vorsicht! An der Klärungswirklichkeit kommt keiner vorbei, sonst würde sie ja nicht für jeden gelten können. Aber sie ist nur die Sicht der Dinge, wie wir sie uns gemeinsam verständlich machen können. Jeder einzelne hat darüber hinaus seine eigene Erlebnissicht. Jede Erfahrungswelt bietet unvergleichliche Besonderheiten, jeder Augenblick einzigartige Konstellationen.

Aber wenn etwas für jeden gilt, dann muß es doch auch in allen Erfahrungen und Zuständen gegegwärtig sein?

Ja und nein! Natürlich muß das, was wir als die Bedeutung von Wirklichkeit klären, bei allem dabei sein. Es kann keiner die Welt einfach übersprinmgen oder sich außerhalb von Raum und Zeit aufhalten, womöglich noch sich in ein anderes Lebewesen verwandeln usw. Aber die gelebte Wirklichkeit ist keine Klärungswirklichkeit. Sie ist das, was die Klärungswirklichkeit nur grundsätzlich zu ornden sucht, wenn wir uns in letzter Instanz orientieren wollen.

Was heißt jetzt hier "in letzter Instanz orientieren"

So orientieren, daß wir nicht nur für einen Moment, sondern für unser ganzes Leben eine Richtschnur gewinnen, nicht nur in einer bestimmten Situation, sondern im Umgang mit Situationen überhaupt, nicht nur angesichts einer bestimmten Realität, sondern im Meistern von Realität überhaupt, nicht nur in einer rationalen Beziehung, sondern im Umgang mit Rationalität überhaupt und nicht nur in einer bestimmten Krise und Grenzsituation, sondern im Umgang mit Krisen ucn Grenzsituationen ünberhaupt.

Welchen Sinn hat dann die Klärungswirklichkeit für den Alltagsmenschen?

Den Sinn der grundsätzlichen Orientierung!

Aber Orientierung ist doch immer konkret, man bedarf dazu doch stets besondere Informationen!

Darin unterscheidet sich Klärungswirklichkeit in der Tat von Orientierungswirklichkeit. Aber in jeder Orientierungswirklichkeit gibt es auch grundsätzliche Fragen, die nur als Klarüngswirklichkeit zugänglich werden, so wie mit jeder Klärungsirklichkeit auch Orientierungsfragen verbunden sind, die direkt aus der Orientierungswirklichkekit herstammen.

Wenn ich etwas kläre habe ich es aber noch nicht erklärt!

Klärungswirklichkeit ist deswegen eben auch noch nicht Erklätungswirklichkeit. Klärungswirklichkeit sagt nur, was wir mit bestimmten Worten meinen, wenn wir sie begrifflich erläutern. Erklärungswirklichkeit sagt, was wir unter Realitäten zu verstehen haben, wenn wir sie beherrschen wollen.

Aber dann setzt doch die Erklärungswirklichkeit die Klärungswirklichkeit voraus!

Nicht in jeder Hinsicht. Wenn wir klären wollen, was ein Organismus z.B. "ist", dann müssen wir wissen, wie wir ihn erklären können. Aber auch unabhängig davon, wie wir ihn erklären und ob wir ihn überhaupt erklären können oder nicht, können wir klären, was wir mit dem meinen, was wir da zu erklären suchen.

Klären kann also auch unabhängig von Erklären stattfinden?

Erklären ist immer nur möglich aufgrund einer Theorie. Im Klären suchen wir nach dem, was das zu Erklärende in seinem theoretischen Zusammenhang ist.

Was das erklärte ist, bestimmen doch die erklärenden Wissenschaften!

Eben nur im Rahmen ihrer beschränkten Möglicjhkeiten. Was ein Atom ist, folgt aus der Quantentheorie. Was aber ein Atom aus der Sicht der Quantentheorie im Vergleich mit all dem Wirklichen ist, das sich aus Atomen zusammensetzt, das kann die Quantentheorie selbst nicht mehr sagen. Dazu bedarf es einer umfassenderen Perspektive, einer Perspektive, die Theorien überhaupt und Materie überhaupt in den Blick bekommt?

Und wie kann man Theorien und Materie überhaupt in den Blick bekommen?

Eben allein unter dem weitest möglich Gesichtspunkt, dem Gesichtspunkt ihrer Wirklichkeit. Indem wir die Wirklichkeit analysieren, sstoßen wr auch auf die Voraussetzungen, die uns ein Atom veständlich machen können.

Aber auf dies analytische Weise hätte man doch nie ein Atom entdeckt!

Sicher, um Entdeckung geht es dabei auch nicht, sondern nur um das Verständnis der Bedingungen seiner Möglichkeit. Was sind die Bedingungen der Möglichkeit eines Atomes, das ist die analytische Frage. Die empirische Frage, die von der Physik beantwortet wird, zielt auf das Funktionieren eines Atoms, seine Bausteine, Gesetzlichkeiten usw.

Erklären ist dann aber doch das Konkrete, Klären das abstrakte!

Was sich nicht unbedingt widersprechen muß. Beim Klären kommen wir nie zum Erklären und umgekehrt. Aber wenn beides konsequent verfolgt wird, dann kommen wir im Klären an die Stelle, wo das Erklären anfängt, und im Erklären dahin, wo das Klären notwendig wird. Das Konkrete hat immer auch eine abstrakte Seite, das Abstrakte eine konkrete.

Das Atom hat also einen Erklärungs- und eine Klärungsaspekt?

Eben. Alle Eigenschaften, die ich dem Atom konkret zuschreibe, gehören zur Erklärungsseite, Alle Eigenschaften, die ich dabei abstrakt mit seiner Identität verbinde, gehören zur Klärungsseite.

Dann gibt es keine fundamentale Kluft zwischen der Welt der Wissenschaften und der Welt der Philosophischen Logik?

Wie sallte es auch. Was die Philosophische Logik klärt, muß die Welt der Wissenscchaften zu ihrem Selbstverständnis bringen. Und was die Welt der Wissenschaften klärt, versorgt die Philosophische Logik mit Informationen.

Galilei machte aber seine Entdeckungen, ohne etwas von Philosophischer Logik zu wissen, Einstein nicht anders!

Ich kann sehr wohl theoretische Forschung erfolgreich treiben, ohne mich dabei ständig zu fragen, was ich nur weiß und was nicht. Aber ich niemals empirisch forschen, ohne eine Gesamtsicht der Realität dabei vorauszusetzen. Galilei kämpfte gegen die aristotelischen Dogmen seiner Zeit, Einstein gegen die einer noch nicht relativistischen Newtonsche Physik.

Aber wenn ich Weltanschauungen notwendig habe, dann doch noch nicht ebenso notwendig eine Philosophische Logik!

Es ist klar, daß die abendländische Naturwissenschaft ihren Aufstieg vollbracht hat meistens gegen vordergründige philosophische Paradigmen. Entscheidend ist nur, daß er nicht ohne erfolgt ist und daß das Gegeneinander von Wissenschaft und Philosophie nicht unbedingt so weiter gehen muß, um die Forschung fruchtbar zu erhalten.

Aber es zeigte sich doch, daß jede Klärungswirklichkeit von der Erklärungswirklichkeit der Wissenschaften überholt werden kann!

Bisher war das in der Tat so: Aber wann hat es auch jemals eine zureichende Wissenschaftslogik gegeben? Man muß sich nur einmal die Kommunikation zwischen Einstein und seinem Bewunderer Poppe, dem einflußreichsten Wissenschaftslogiker des zwanzigsten Jahrhunderts, genauer anschauen. Weder hatte Einstein ein unbefangenes Verständnis von Wirklichkeit, sonst hätte er nicht ein halbes Leben die Quantenphysik bekämpft, noch hatte es Popper, sonst hätte er nicht an dem Korrespondenzbegriff der Wahrheit festgehealte und Theorien so sehr auf Welt bezogen verabsolutiert, daß ihm alles Wirkliche nur noch theriegebundenen "Welten" erschienen wäre.

Wie soll aber Wissenschaft sich weiterentwickeln, wenn sie nicht mehr gegen eine herrschende Klärungswirklichkeit angehen kann?

Diese Frage liegt ein Mißverständnis zugrunde. Neue Entdeckungen werden gewöhnlich in der Tat gegen herrschende Meinungen errungen, aber diese herrschenden Meinungen müssen nicht unbedingt auch die letzten philosophischen Grundlagen betreffen. Es genügt, daß unterschiedliche Theorien miteinander sich im Konflikt befinden. In der Physik geht es z.B. heute immer darum, die Relativitätstheoirie mit der Quantentheorie in Einklang zu bringen. Klärungswirklichkeit, kritisch ausgeführt, kann in diesem Streit über Gemeintes zur Orientierung beitragen. Aber Klärungswirklichkeit, wenn sie konsequent ist, kann gar nicht als wissenschaftliche Herausforderung herhalten.

Weil es keine Angriffsflächen gibt zwischen Wissenschaft und Logik?

Genau. Hypothetische Herausforderungen der Wissenschaften beziehen sich immer auf die Welt als umfassende Weltbilder oder Weltanschauungen, nicht auf die Wirklichkeit. In der Wirklichkeit gehören beide zusammen, Wissenschaften und ihre Weltbilder. Die Wissenschaften haben es ja immer nur mit der Welt zu tun, die sie erklären, nie mit deren Voraussetzungen, die als die Wirklichkeit zu klären ist.

Dann ist Wissenschaft bisher noch nie korrekt begriffen worden, weil ihr Verhältnis zur Welt unklar war.

Bis heute haben es die Wissenschaften in der Tat nicht geschafft, ihre Abhängigkeit von der Welt so zu reflektieren, daß dabei deutlich geworden wäre, in welcher Weise sie die Welt beherrschen, in welcher Weise sie aber auch von ihr abhängig sind. Die Welt hat ja Grenzen, und die Wissenschaften deshalb auch!

Und Klärungswirklichkeit kann genau das zeigen?

Sonst würde sie den Namen nicht zu Recht tragen. Klärungswirklichkeit muß der Erklärungswirklichkeit den Spiegel vorhalten, so wie die Erklärungswirklichkeit der Klärungswirklichkeit den Spiegel liefert.

Aber dieser Spiegel kann doch nicht nur ein intersubjektiver Spiegel sein?

Er muß es sein, wenn die Wissenschaften ihn akzeptieren wollen. Ein Physiker würde sich ja im Ernst nicht von meinen privaten Überlegungen oder gar poietischen Außerungen über das Atom herausgefordert werden müssen.

Aber Klärungswirklichkeit ist doch immer auch subjektiv!

Von der Definition her nicht. Es gibt natürlich daneben auch eine subjektive Besinnungswirklichkeit. Diese aber hat andere Funktionen als die Klärungswirklichkeit Im übrigen sind Subjekte Träger der Intersubjektivität. Alles Intwersubjektive hat insofern auch immer einen subjektiven Aspekt.

Was ist der Unterschied zwischen Klärungswirklichkeit und Besinnungswirklichkeit?

Klärungswirklichkeit zeigt die Wirklichkeit wie sie für den Verstand eines jeden gleichermaßen gilt, Besinnungswirklichkeit zeigt sie so, wie sie für mich oder anderen ist, wenn man ganz beim Erlebnis, der Intuition und der Meditation zeigt. Es ist klar, daß da bei Heiligen, Künstern, Dichtern usw. geistige Tiefenddimensionen erreciht werden können, die große Ausstrahlungskraft auf andere Besinnungshorizonte haben.

Aber was leisten die beiden Wirklichkeiten unterschiedlich?

Die Klärungswirklichkeit orientiert ganz im Allgemeinen, die Besinnungswirklichkeit läßt mich zu mir selber komme, .indem ich mich meiner Position in der Wirklichkeit versichere. Aber Besinnungswirklichkeit ist natürlich auf Klärungswirklichkeit angewiesen, wenn sie nicht unvernünftig werden will, so wie Klaärungswirklichkeit natürlich auch auf Besinnungswirklichkeit angewiesen ist, wenn sie etwas bewirken will.

Wirklichkeit hat also unterschiedliche Gesichter, zeigt Klärungswirklichkeit die ganze Wirklichkeit?

Keine der genannten Wirklichkeiten zeigt die ganze Wirklichkeit. Klärungswirklichkeit zeigt sie unter dem intersubjektiven Gesichtspunkt, Erklärungswirklichkeit unter dem Gesichtspunkt der Welt, Orientierungswirklichkeit vom Ereignis her und Besinnungswirklichkeit ausschließlich vom Bewußtsein des Subjekts aus. Die ganze Wirklichkeit ist metaphysische Wirklichkeit.

Wie kann metaphysische Wirklichkeit die ganze Wirklichkeit meinen?

Indem das Begriffliche der Klärungswirklichkeit gegenwärtig ist, das sachliche der Erklärungswirklichkeit Herausforderung, das aktuelle der Orientierungswirklichkeit realistisch eingschätzt wird und das Interpretative der Besinnungswirklichkeit das Ganze im Auge behält.

Wie verhält sich Klärungswirklichkeit genau zu metaphysischer Wirklichkeit?

Klärungswirklichkeit stellt nur die Bedeutungen fest, mit denen wir bei der Interpretation der Wirklichkeit im Gebrauch der Wörter operieren. Was wir weiterdenkend mit den Wörtern und ihren Begriffen anfangen, watuz sie uns dienen und zu welchen letzten Annahmen sie uns führen, da sist die metaphysische Wirklichkeit.

Aber dann ist die metaphysische Wirklichkeit die eigentliche Wirklichkeit.

Kein Mensch lebt allein in der Erklärungswirklichkeit. Auch die anderen Wirklichkeiten, die Erklärungs- Orientierungs- und Besinnungswirklichkeit sind Wirklichkeitsidealisierungen, keine gelebten Wirklichkeiten. Weil in der Realität des Alltages irgendwie immer alle Wirklichkeiten zusammenkommen, ist die metaphysische Wirklichkeit tatsächlcih die eigentliche Wirklichkeit, allerdings auf höchst unzterschiedlichem Niveau.

Das heißt, jeder Mensch ist Metaphysiker?

Warum nicht? Jeder Tag, den wir leben, ist ja ganz genau gesprochen eine Kette letzter Entscheidungen, die getroffen werden.Was immer wir anfangen, wir stellen die Realität so oder so in Rechnung, orientieren uns in der Gegenwart an vorgegebenen Standards und bilden allem gegenüber unsere höchst eigene Meinung. Jede Biographie ist eine gelebte Metaphysik.

Klärungswikrklichkeit ist dann nur eine Hilfswirklichkeit für die metaphysische Wirklichkeit?

Warum nicht? Genau so hat Kant seine transzendentale Wirklichkeit der drei Kritiken verstanden: Es sollte sich nur um die Propädeutik für die eigentliche Metaphysik handeln, die ihm dann allerdings unter der Hand dem Spannungsgefüge der transzendentalen Wirklichkeiten insgesamt entglitt. Als Max Weber ein Jahrhundert später die wissenschaftliche Begrifflichkeit auf Idealtyypen festlegte, konzipierte er Erklärungswirklichkeit als eine Orientierungshilfe für die empirische Forschung, nicht als deren Vormund. Erklärungswirklichkeit kann immer nur Hilfswirklichkeit sein, weil das konkrete Erkennen, Handeln und Selbstsein sich nicht im Raum der Begriffe abspielt, sondern im Hier und Jetzt.

Und wer gibt dann in der metaphysischen Wirklichkeit den Ton an?

Wenn die Klärungswirklichkeit ihren Platz behauptet, hoffentlich die Vernunft. Vernunft hieße, daß die Besinnungswirklichkeit in ihrer Reaktion auf die Welt und die Ereignisherausforderungen sich faktisch verantwortlich durchsetzt, nicht mehr und nicht weniger. Die großen Charismatiker, die immer wieder die Geschichte in Freiheit beeinflussen werden, sollen an Klärungswirklichkeit orientiert gelernt haben, wer sie sind, und wer nicht, was sie wissen, und was nicht und demenstprechend was sie können und sollen, und was nicht. OhneAkzeptanz der Klärungswirklichkeit allerdings muß man permanent mit den Hitlers, Idi Amins und Saddams rechnen.

Aber über Klärungswirklichkeit gibt es doch noch gar keinen Konsens, dann müßten wir es ja nur mit Monster zu tun haben!

Es ist in der Tat nicht selbstverständlich, daß trotz der verworrenen Grundsituation der zeitgenössischen Philosophie trotzdem eine leidliche Klärungswirklichkeit in den Köpfen der westlichen Kulturvölker befindet. Diese wird aber weniger über philosophische Reflexion denn politische Erfahrung und institutionelle Tradition transportiert: Die Erfahrungen der Unfreiheit und Kriege haben Gott sei Dank ihre Spuren hinterlassen!

Dann kann man also nur hoffen, daß die Besinnung auf Wirklichkeit diesen Erfahrungen und Institutionen eine Stütze sein wird!

Es ist klar, daß alles das, was die westliche Kultur zusammenhält, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Toleranz usw angesichts der Herausforderung des Nichtabendlandes dringend begründbar werden muß. Wir müssen deshalb die Klärungswirklichkeit als unentbehrliche Voraussetzung allen intersubjektiven Zusammenseins als unersetzlichen Wirklichkeitszugang auch in den Kulturen bekannt machen, die im Augenblick noch nichts von Intersubjektivität wissen wollen!

Aber was soll die Klärungswirklichkeit gegen z.B. die Wirklichkeit des Propheten Mohamed?

Für einen gläubigen Islamisten allerdings wenig. Die Frage aber ist, ob es bei diesen gläubigen Islamisten in der Zukunft bleiben muß, oder ob nicht auch all diese Wissenden irgendwann einmal dahin gebracht werden können, nachzufragen, wie es denn um die Wirklichkeit ihres Propheten und seiner Lehre in der Tat steht. Das wäre der erste Schritt. Die folgenden könnten dann leichter sein.

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HISTORISCHES:

In der Geschichte des philosophischen Denkens ist Klärungswirklichkeit nur selten von anderen Wirklichkeiten unterschieden worden und und bis heute nur selten rein begriffen. Im magischen Denken war sie animistisch vorgegeben, mit rituellem Zauber , symbolischen Handlungen und ekstatischen Bewußtseinszuständen suchte man orientierend Einfluß zu nehmen und besinnungsmäßig zu transzendiere, Erklärungen waren noch nicht gesondert angesagt. Beim Übergang zum mythischen Denken gewann die Klärungswirklichkeit dichterische Konturen, Erklärung, Besinnung und Orientierung erfolgte jetzt innerhalb einer kulturumspannenden Erzählvorlage, - Homer und Hesiod z.B. bei den Griechen -, aus der sich viele Antworten kreativ entwicklen ließen, ohne doch jemals diesen Rahmen zu sprengen. Dies erfolgte erst beim Kontakt unter den Kulturen in der sogenannten Achsenzeit, in dessen Folge unverbindliche Erzählvorlagen einem wahren Hintergrund zugeordnet wurden und Ansätze verbindlicher Erklärungen zu liefern begannen, dezidiertere Wege zur Besinnung und Orientierung im Sinn eines Einheitssinss für alle und einen jeden einzelnen. Was Klärungswirklichkeit aber ist, vermochte die Achsenzeit schon deshalb nicht zu entwickeln, weil es sich in den jeweiligen Fällen ja stets nur um den einen wahren Mythos handelte, der sich aufgrund der unterschiedlich vorgegebenen vielen Mythen als Ei nheitslehre sich behauptete. So blieb z.B. die chinesische Klärungswirklichkeit eigentlich Orientierungswirklichkeit, weil es im wesentlichen darauf an kam, das staatliche und sittliche Leben zu festigen. Die indische Kl#rungswirklichkeit entpuppt sich bis heute als Besinnungswirklichkeit, weil sie nur darauf angelegt ist, dem Bewußtsein zum transzendieren zu verhhelfen. Die persiche Klärungswirklichkeit war ausgesprochen metaphysisch-orientierend, insofern der Einzelne sich hier in den Kampf zwischen Gut und Böse gestellt sah. Erklärend-orientierend war die Klärungswirklichkeit der Israelis, insofern dort der transzendente Gott javeh für alles in der Welt als Ursache herhalten mußte und außerdem klar die Handlungsrichtuing für sein Volk und jeden Einzelnen vorgab. Bei den Griechen schließlich war die Klärungsvorgabe ganz überwiegend Erklärungswissen, weil die Natur (physis) als der eine wahre Mythos als Ursache für das ins Auge gefaßt wurde, was sich in ihr manifestierte. Wir können also zusammengfassend sagen, daß in der Epoche, aus der die Grundlagen aller unserer heute noch beherrschenden Weltreligionen stammen, Klärungswirklichkeit noch nicht rein begriffen wurde, sondern mythisch verbrämt blieb.

Erst als Platon den Logos dialektisch untersuchte, um damit Klarheit in die Ideenwelt zu bringen, gewinnt die Klärungswelt selbständige Konturen. Als Heraklit und Parmenides in der griechischen Vorgängertradition den Logos entdeckt hatten, war das so noch nicht der Fall, weil beide zwar erkannt hatten, daß sich die Natur ohne Bezug auf Begriffe und stehendes Bewußtsein nicht erklären läßt, aber damit noch nicht, wie Platon, dirket eine Untersuchung des Logos verbanden, sondern in der Weise der Ionischen Naturphilosophen lieber noch nach Erklärungen in der Natur suchten, die sich mit dem Logos als neuerlichem Schlüssel zum Naturverständnis, verknüpfen ließen. Bei Platon treten die verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen zum ersten Mal getrennt und doch auch wieder in einer solchen undurchsichtigen Einheit miteinander verwoben auf, daß es schwer fällt, sein Denken auf eine ganz bestimmte Position festzulegen. Wichtig aber ist, daß für ihn die Klärungswirklichkeit erstmals als der grundlegende, nicht mehr zu hintergehende Wirklichkeitshintergrund begriffen wurde, und daß diese Klärungswirklichkeit deshalb immer wieder Ausgangs- und Anknüpfungspunkt seines Denkens geblieben ist. Daneben hat Platon viele Erklärungen gegeben, auch teilweise auf Ideen zurückgeführt, sie gerieten ihm aber zur Wiedergabe von Mythen, wenn er sah, daß dafür die Grundlage seiner Ideenwelt keine Informationen mehr zur Verfüngung stellte. Platon versuchte grundsätzlich zu orientieren, er wußte aber auch, daß er diese Orientierung nicht direkt aus der Klärungswelt ableiten konnte, sondern auf die "Philosophen" angewiesen war, die entsprechende Ideen, so die "Gerechtigkeit" (dikaiosyne) auszulegen und zu verantworten hatten. Platon hat auch die Besinnungswirklichkeit meditativ entfaltet, wobei er nicht übersah, daß die Reflexion der Ideenwelt allein nicht das letzte und ausschließliche Ziel der Weisheit ist, sondern darüber hinaus Transzendenz und Transintelligibilität eine zeitlose Herausforderung bedeuten. Am Ende hat Platon nicht nur gewußt, daß er es mit einer gedanklichen Klärungswirklichkeit zu tun hatte, die es zu explizieren galt, er wußte auch, daß diese Voraussetzung nur eine Dimension der Wirklichkeit ist, nicht die allesumfassende metaphysische, die auch noch das Rätsel der vorgegeben Klärungswirklichkeit selbst beantworten könnte. Denn die Klärungswirklichkeit war auch für Platon nicht etwas Gegebenes, aus dem gültige Wahrheit einfach deduktiv abgeleitet werden könnten, sondern etwas Unbegrifliches, das man zwar als Erklärungsgrundlage für die Welt klären konnte, dessen eigene Erklärung aber als Wunder im Raum stehen bleiben mußte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Letzte Änderung dieser Seite: 18.08.2003