Die Was-Frage transzendental

Um nicht sinnwidrig zu sein muß "wirklich" immer als etwas mit sich identisch sein können, gültig existieren und von sich selbst her hingenommen werden können. Alles Wirkliche läßt sich unter diesem Gesichtspunkt erschöpfend bestimmen. Damit ist die transzendentale Was-Frage beantwortet.

Wie kann es möglich sein, Wirkliches widerspruchsfrei erschöpfend zu bestimmen?

Alles, was wir dabei voraussetzen ist, daß Wirklichkeit unhinterfragbar alles ist. Wir müssen nun nur zusammenstellen, was dieses unhinterfragbare Alles voraussetzt, um seinem Sinn gerecht zu werden.

Aber wie will man den Sinn von etwas bestimmen, das unhintergehbar alles sein soll?

Ein Etwas muß es also schon sein, das können wir festhalten. Wäre es nichts, würden wir ja auch von nichts Bestimmten reden.Im übrigen müssen wir Wirkliches so bestimmen können, daß alle Fragen, die an es gerichtet werden, beantwortet werden können.

Aber welche Fragen können überhaupt an Wirklichkeit sinnvoll gestellt werden?

Ganz bestimmt nicht untergeordnete oder sinnlose, so wie die, ob sie Fahrradfahren kann usw. Sie müssen schon auf das zielen, was Unhintergehbarkeit möglich macht.

Aber was macht Unhintergehbarkeit möglich?

Eben: Etwas überhaupt. Wo nichts ist, kann es auch keine Unhintergehbarkeit geben. Man kann nicht etwas dementieren, was man gar nicht identifizieren oder beim Namen nennen kann. Das wäre pure Gedankenlosigkeit.

Und welche Fragen muß man an Etwas stellen können, damit es nicht nichts ist?

Damit Etwas überhaupt etwas sein kann, muß man fragen dürfen, als was es ist. Die Etwasheit als solche ist ja eine Abstraktion, die ihrerseits nur dann einen Sinn haben könnte, wenn sie von irgendeinem Gesichtspunkt her klassifizierbar wäre.

Und als was kann Etwas etwas sein?

Das eben wäre beim einzelnen Wirklichen zu untersuchen, für Wirklichkeit überhaupt genügt es, daß sie als etwas auch etwas bestimmbares Etwas ist. Alles Wirkliche ist als etwas Wirkliches, das genügt.

Wirkliches als etwas Wirkliches vorausgesetzt: Welche Frage muß noch gestellt werden können?

Ob dieses Wirkliche als Wirkliches tatsächlich existiert. Gesetzt den Fall, es existiert nicht: Von was würden wir dann am Ende überhaupt reden? Nur von Gedankengespinsten? Aber diese Gedankengespinste müßten ja dann doch existieren, damit die Rede überhaupt stattfinden kann. Wenn wir die Frage nach dem Existieren und der Art und Weise des Existierens an das Wirkliche nicht mehr stellen dürfen, wären wir jederzeit dem Einwand hilflos ausgeliefert, es nur mit Phantasieproduklten, nicht mit der Realität zu tun zu haben. Ganz gleich, ob es nun um die Realität der Phantasie oder die Pantasie der Realität geht, wir entkommen der Frage nicht, in welcher Weise wir es mit Existierendem zu tun haben.

Und welche Frage stellt sich bei der Existenz des Wirklichen außerdem?

Ob diese Existenz gültig bezeugt ist. Wir können ja beliebig von Wirklichem reden, ohne daß dabei auch nur ein Funke Wahrheit ist.Es muß schon "wirklich" stimmen, was wir über Wirklichkeit sagen, wenn die Behauptungen nachvollzogen werden können und sollen. Dazu müssen wir dann aber auch ganz genau wissen, von was wir reden!

Müssen wir also auch die Was-Frage an die Wirklichkeit stellen können?

Natürlich. Indem wir Wirkliches als das Unhintergehbare beim Namen nannten, haben wir die Was-Frage bereits beantwortet. Was-Fragen sind bestimmungsmäßig beantwortbar, wenn ganz präzise Unterscheidungen möglivch sind. Mit der Nennung der Unhintegehbarkeit haben wir Wirklichkeit von alle Möglichen präzise unterschieden, was sonst auch noch wirklich sein könnte. Alles einzelne Wirkliche ist zwar im Blick auf seine eigene Wirklichkeit auch nicht mehr hinterfragbar, im Blick auf die Wirklichkeit schon: Einzelnes Wirkliches ist jeweils Moment der Wirklichkeit.

Und wie erschöpfend ist nun die Frage "wirklich"?: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit wirklich?"

Sie enthält alle die oben angesprochenen Detailfragen. Mit der "Wirklichkeit" (a) selbst ist das präzise, einmalige Unterschiedene gemeint, das ganz allein unhinterfragbar ist. Das "Wie" der Frage (b) zielt auf das, als was Wirklichkeit als etwas mit sich identisch ist. Diese Identität des etwas wird von dem "ist" (c) ausgedrückt. Nun kommt noch zweimal "wirklich" im Satz vor: Bei der Frage, wie "wirklich" etwas ist (d) , geht es um die Art und Weise des Existierens, bei der Frage, ob etwas auch "wirklich" ist (e), um die beglaubigte Geltung der Aussage über das Existieren.

Und woher wissen wir endgültig, daß es keine anderen Fragen mehr geben kann?

Weil alle weiteren denkbaren unter eine der genannten Fragen fällt. Das muß sich allerdings in der Praxis zeigen und in wiederholten Frageversuchen experimentell bestätigen lassen.

Und wie kann man sich diese experimentelle Bestätigung vorstellen?

Indem man immer wieder versucht, neue Fragen zu stellen und zu erfinden. Sollte dabei sich auch nur eine einzige den fünf großen Fragen gegenüber als nicht subsumierbar erweisen, müßte der minimale Fragekatalog erweitert werden müssen.

Und warum hat sich bisher noch keine sechste Fragestellung gezeigt?

Ganz einfach: Weil wir bisher noch keine haben finden können. Offen bleibt dabei natürlich, ob die Frage bisher gründlich genug gestellt und häufig genug erprobt wurde. Da kann man sich niemals genügend sicher sein!

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HISTORISCHES.

Was Wirkliches immer ist und seine Bedeutung ausmacht, ist von den Griechen schon früh mit der Angabe elementarer Eigenschaften beantwortet worden. Auffallend ist dabei die Konstanz der Vierfachheit variierbaren Grundmöglichkeit, denen jeweils als synthetische Einheit ein Fünftes mitgegeben werden konnte. Seit Pythagoras und Empedokles gliederte man die Matrie so in die vier Elemente "Erde, Wasser, Luft und Feuer", als deren gedankliche Einheit und Überhöhung zugleich mit Aristoteles der Äon der Himmelmaterie hinzugedacht werden konnte. Als strukturell grundlegend wurde seit Pythagoras und spätestens Platons Timaios die fünf möglichen Körpergestalten angenommen, in denen ultimativ Dreiecke zu einem Volumen gefügt werden konnten. Die Vierweltenementenlehre galt noch bis zur Zeit Newtons und zum Vorabend der Entstehungeschichte der modernen Chemie. An der Maßgabe der Entfernungsmaßstäbe der pythagoräisch/platonischen Körper, die es zu prüfen galt, entdeckte nochKepler seine berühmten astronomischen Umlaufgesetze. Es gab die vier Kardinaltugenden, die von Platon in der tugendhaftigkeit der philosophischen Wahrheitsliebe ihren Dreh- und Angelpunkt fanden. Die aristotelische Logik kannte vier Hauptfiguren, und die Dialektik konnte man als gedankliche Synthes logischen Denkens im Blick auf das Ganze sich hinzudenken. De aristoteleische Physik kannte vier Ursachen, und das teleologische Naturgeschehen durfte als das tatsächliche Wirklichkeitsgeschehen als Einheitsursache gedacht werden. Als Bestimmungsmomente der aristotelischen Substanzen unterschied man spätestens seit Porphyrios ebenfalls fünf Momente: Genus, spezifische Differenz, Attribut, Akzidenz und das jeweils mit sich identische Proprium. In vielen weiteren Konstellationen sehen wir im antiken Denken das Vierfache/Fünfache als selbstverständlich vorausgesetzte Gliederungsskala des Wirklichen in Anwendung gebracht, gewiß einmal ein lohnender Untersuchungsgegenstand. Auch über den Grund dafür. lohnt es sich nachzudenken, bei Platon wenigstens liegt er auf der Hand.

In Platons Dialektik begegnen wir so auffällig wie konstant der Zahl vier bzw. fünf, daß es dafür einen bestimmten Grund geben muß: Das Liniengleichnis in de Mitte der Politeia gibt uns darüber Auskunft. Das Wirkliche ist dort für die Erkenntnis ein Gemeinsames aus Wahrnehmung und Denken. Weil die Gemeinsamkeit von Platon dialektisch gedacht wird, muß sich auf der Seite des Wahrgenommenen wiederum ein nur Wahrgenommenes und ein gedachtes Wahrgenommenes unterscheiden lassen, auf der Seite des Denkens ein nur Gedachtes und ein wahrgenommenes Gedachtes. Ein Kreis, so wird es im siebten Brief erläutert, ist als nur Wahrgnommenes eine Linie etwa im Sand, als gedachtes Wahrgenommenes die erkennbare Kreisförmigkeit dieser möglicherweise krummen Linie, als wahrgenommenes Gedachtes ein sinnlich vorgestellter Kreis und als rein Gedachtes der geometrisch definierte Formalismus. Alles zusammen wäre die Kreisheit jenes Fünfte als Inbegriff des Ideellen, in dem Platon in allen seinen parikularen dialektischen Grundbestimmungen an das Ganze erinnert. Dieses platonische Grundwissen vom Wirklichen, wie man es nennen kann, wurde mit der geistigen Machtergreifung des Christentums durch die modellgebende Trias von Vater, Sohn und Heiligen Geist abgelöst, der sich von nun an noch bis hin zu Hegel das Denken der Wirklichkeit so fügte, daß als Hintergrund für Einzelanalysen mehr oder weniger explizit ein vermittelndes Offenbarungsgeschehen (Heiliger Geist) zwischen Schöpfer (Vater) und Schöpfung (Sohn) vorausgesetzt wurde. Kants Transzendentalphilosophie versucht, beiden Aspekten zu ihrem Recht zu verhelfen.

Kants transzendentale Analytik der Urteilsmöglichkeiten expliziert grundsätzlich vier Kategorien, mit deren Hilfe das Fünfte, der vernünftige Eigenumgang mit dem Urteilsvermögen im Blick auf das Ganze, zu einem reflexiven Bezug auf das Ganze kommen kann. Seine transzendentale Dialektik der Vernunft im Blick auf das Denken des Ganzen unterstellt die Trias als eine grundlegende Subjekt-Objekt-Beziehung. Das Ganze erscheint als eine Einheit, der Denken durch die "Subjekt-Objekt-Spaltung" nicht mehr direkt, sondern nur indirekt erfaßt werden kann. Von nun an beherrscht das zuerst von Descartes eingeführte Subjekt-Objekt- Paradigma gegen Platons Dichotomie von Wahrnehmen und Denken (Descartes versuchte noch beides zusammen zu denkenen) großflächig das philosophische Wirklichkeitsverständnis: Der Deutsche Idealismus versuchte die die Subjekt-Objekt-Beziehung metaphysisch als die Wirklichkeit selbst zu entfalten, mit dem Einsetzen der wissenschaftlichen Kritik versuchten empirisch eingestellte Denker die Spaltung zum Objekt hin aufzulösen, erkenntnistheoretisch und methodologisch Eingestellte versuchten die Auflösung zur Subjektseite hin, indem sie nach den unbedingten logischen, grammatikalischen, sprachlichen, psychischen usw Voraussetzungen empirscherf Erkenntnis fragten. Indem Neukantianismus und Phänomenologie versuchten, Kants Postulat der Gleichberechtigung des Materialen und Formalen in der Konstitution der Erkenntnis treu zu bleiben, blieben sie doch grundsätzlich darüber zerstritten wie die Einheit zu denken war. Insofern kam es auch nie zu einem überzeugenden Konsens darin, ob der Akzent das Apriorischen in der Empirie, oder ob er im Kategorialen zu suchen sei, die Nachfolge Kants zerfiel immer in eine mehr realistische und in eine mehr idealistische Variante. So stand eine objektive Werttheorie des Badischen Neukantianismus, die ontologische Schichtentheorie Nicolai Hartmanns unversöhnbar dem Marburger Neukantianismus gegenüber, in dessen letzter Ausformung etwas Ernst Cassirer nur noch symbolische Formen als philosophischen Untersuchungsgegenstand akzeptierte.

Martin Heidegger hat die Gefangenheit der neuzeitlichen Philosophie erkannt, und versuchte sie teilweise im Rückgang auf das Vierfachdenken des Aristoteles (Ursachenschema als "Geviert"), mehr noch aber auf obskure Anfänge der Vorsokratiker, zu hinterfragen. Der ideologiekritische Neomarxismus versuchte das Subjekt-Objekt Denken sozialhermeneutisch zu relativieren, eine Universalhermeutik versuchte dies Geistesgeschichtlich, Gegenüber diesen vergeblichen Versuchen, einen sicheren Standpunkt außerhalb der Subjekt-Objekt-Beziehung zu finden und von dort er ihre Beschränktheit konstruktiv zu kritisieren, ging der späte Jaspers mit einer unbedingten Radikalisierung der Spaltung den umgekehrten Weg: Die Wirklichkeit sollte in der Spaltung so konsequent als deren Umgreifendes gedacht werden, daß das vernünftige Denken seinen Boden außerhalb finden konnte. Indem Jaspers aber auf diese Weise Wirkliches nicht eigentlich von sich her dachte, sondern immer noch als eine zu erhellende Beziehung von Subjekt und Objekt, behandelte er merkwürdigerweise die grundlegende Frage zweitrangig, was eigentlich die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, daß sich ein Subjekt überhaupt auf ein Objekt beziehen kann. Die Philosophen, die heute meinen, einen Standort jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung gewonnen zu haben, arbeiten umgekehrt mit vielen anderen konstitutiven Differenzen, die sie irgendwo im Wirklichen verankern. Indem sie die Grundbeziehung, so in der Postmoderne, vielfältig neu setzen, radikalisieren sie bestimmtes Wirkliches. Die Frage aber, wie Wirklichkeit Wirkliches sein kann, bleibt dabei genauso unbestimmt, wie das Wesen einer Subjekt-Objekt-Spaltung, deren Primat den wesentlichen Unterschied zwischen dem platonischen und neuzeitlichen Philosophieren kennzeichnen kann.

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Was immer ist, geschieht in der Zeit und ist vergänglich. Unvergängliche Wirklichkeit ist allein das, was das Vergehen in der Zeit selbst zu Voraussetzung hat. Und da bleiben nicht mathematische Strukturen, denn was bleibt von ihnen, wenn nichts sich mehr nach Rechnungen richtet? Da bleiben keine Naturgesetze, denn was bleibt von ihnen, wenn die Materie verschwunden ist, die ihnen gehorcht? Da bleiben keine Namen, denn was bleibt von ihnen, wenn sie nichts mehr repräsentieren? Da bleiben weder Raum noch Zeit, denn was bleibt von beiden, wenn nichts mehr in ihnen abspielt? Da "ist" tatsächlich nichts mehr, denn wo sollte noch etwas identifiziert werden können, wenn die Identifikation nicht mehr stattfindet. Vergehen in der Zeit überdauert als Wirkliches allein das, was Wirklichkeit überhaupt möglich macht. Am Ende ist es die Möglichkeit selbst allein, die etwas überhaupt möglich macht für etwas als etwas tatsächlich und gewiß.

In dem Satz: "Wie wirkklich ist die Wirklichkeit wirklich?" sind alle Fragen nach dem enthalten, was Wirklichkeit möglich macht und deshalb als alles überdauernde Wirklichkeit, wenn es sie überhaupt gibt, bezeichnet werden darf.

 


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Letzte Änderung dieser Seite: 11.06.2003