Argumente haben das letzte Wort

Seinsbegriffliches Wissen ist intersubjektiv evidentes Wissen, insofern die Begriffsbildung im Gedankenexperiment testbar kontrolliert und grundsätzlich immer korrigiert werden kann. Denn da die letzte Prämisse, die Wirklichkeit, unbestimmt ist, gibt es keine Möglichkeit deduktiver Beweisbarkeit mehr, was bleibt, ist allein der Nachweis der Alternativenlosigkeit in der Praxis. Und da kann nie grundsätzlich ausgeschlossen werden, daß nicht doch irgendjemandem zu irgend einer Zeit eine plausible Widerlegung gelingt. Der Besitz der Wahrhheit bedeutet im übrigen lediglich Klarheit über den Wortgebrauch, nicht ein Bescheidwissen über das, was die Wirklichkeit von sich her "ist". Diese Klarheit ist für jeden Terminus erreichbar, der sprachlich verwendet wird.

Wieso soll eine Begriffsbildlandkarte der Wirklichkeit jedermann überzeugen können?

Weil die Argumente nicht widerlegbar bzw. nicht widerlegt worden sind

Aber bisher haben sich doch alle Philosophien als widerlegbar erwiesen!

Es gab aber noch keine philosophische Position, deren explizite wie implizite Grundlagen unhintergehbar sind.

Ist aber nicht auch die Unhintergehbarkeitsthese von Wirklichkeit ihrerseits hintergehbar?

In der Tat. Niemand wird an dem Versuch gehindert, dennoch die Wirklichkeit hintergehen zu können. Nur eben, bisher sind alle diese Versuche gescheitert und es spricht auch nicht sehr viel dafür, daß je einmal einer siegreich sein wird.

Es handelt sich aber deswegen doch nur um eine bedingte Gewißheit!

So wie alle Gewißheit bedingt ist. Unbedingte Gewißheit gibt es nicht. In letzter Instanz ist alle Gewißheit durch die Wirklichkeit bedingt.

Und bei bedingter Gewißheit können wir uns in der Tat nie ganz sicher sein?

Endliche Wesen, die die absolute Wahrheit nicht besitzen, können nie irgendwo ganz sicher sein. Aber es gibt relative Gewißheit, die hochwahscheinlich ist. Wir können z.B. damit rechenen, daß die Sonne morgen früh wieder aufgehen wird, weil das bisher für Lebewesen immer so gewesen ist. Sollte es aber einmal anders kommen, dürfte man nicht sich beschweren: Wir besitzenkein Wissensprivileg.

Aber man würde rückwirkend die Gründe dafür finden können, daß die Sonne nicht mehr aufgegangen ist.

Möglicherweise ja, wenn es sich um einen prinzipiellen Zusammenstoß z.B. mit unvorhergesehenen anderen galaktischen Systemen handeln sollte usw. Aber es könnte auch sein, daß wir selbst im Nachhinein keine Erklärung für ein solches Ereignis fände, weil unser Wissenstand nicht unbedingt jeder möglichen Erklärung gewachsen sein muß.. Die alten Griechen hätten sich ja auch nicht eine Atomexplosion verständlich machen können, weil sie einfach nicht soweit waren.

Können auch plötzlich die Naturgesetze versagen?

Bis jetzt wissen wir davon noch nichts. Aber es gab eine Zeit, in der es sinnlos war, von Naturgesetzen zu sprechen, weil es noch keine Natur gab, die sich nach diesen Gesetzen richtet und schon gar keine Subjekte, diese Gesetze zu registrieren.. Prinzipiell können natürlich auch Naturgesetze versagen und wir würden sofort nach den Ursachen dafür suchen: Hatten wir sie nur falsch verstanden, oder haben wir es gar mit einer neuen Welt, anderen Natur zu tun?

Wenn es keine allerletzte Gewißheit gibt, wie können dann Argumente allerletzte Gewißheit verschaffen?

Eben auch nur mit dem zusätzlichen Hinweis, daß es die allerletzte Gewißheit nicht gibt. Die Nichtvorhandenheit der allerletzten Gewißheit ist die eine Sache, deren Feststellung die andere. Indem Argumente gegen absolute Gewißheit sprechen, beruht unsere letzte Gewißheit auf Argumenten.

Und aufgrund von Argumenten sind unsere Wirklichkeitsdefinitionen gewiß?

Soweit sie nicht widerlegt werden. Damit sie aber widerlegt werden können, müssen eindeutige Testregelen vorgegeben sein.

Und was sind die Testregeln für Wirklichkeitsdefinitionen?

Etwas Wirkliches a) muß die ganze Wirklichkeit unter den gegebenen Prämissen repräsentieren können und umgekehrt. Begriffsnamen dürfen b) sich nicht wiederholen, Wahrheitsbedeutungen müssen c) vollständig benannt und d) untereinander eindeutig unterschieden sein, Begriffsbilder müssen e) mittels Bedeutungssynthesen widerspruchslos vernetzt werden können.

Kann das bitte wieder an einem Beispiel verdeutlicht werden?

Nehmen wir wieder den Begriff "Freiheit". Freiheit muß a) unter der Prämisse "Möglichkeit der Verantwortung" die ganze Wirklichkeit sein können, wenn die ganze Wirklichkeit lediglich nichts anderes wäre als mögliche Verantwortung. Freiheit darf b) nirgendwo sonst auf der Begriffslandkarte auftauchen, wenn Selbstwidersprüche vermieden werden sollen, denn was wäre mit einem Wort "Freiheit" anzufangen, wenn sein Begriff einmal so, einmal anders definiert wäre? Was mit dem Wort "Freiheit" gemeint ist, muß c) transzendental, d.h. in Minimalbedeutungen so präzise angegeben werden, daß es d) mit keinem anderen Namen mehr sinngemäß verwechselt werden kann. Am Ende muß das Begriffsbild "Freiheit" mit dem Begriffsbild "Verantwortung" so bedeutungssynthetisch zusammengeschlossen sein, daß eine wechselseitiger Vermittlungsübergang widerspruchslos gelingt.

Es handelt sich also bei der Begriffslandkarte um ein Wissen, dessen Überzeugungskraft dem naturwissenschaftlichen entspricht?

Das kann man so sagen, wenn dabei nicht vergessen wird, daß es sich bei den Testsituationen um Gedankenexperimente handelt, die sich allein an Hand von logischen und sprachlichen Kriterien bewähren, nicht an innerweltlichen Beobachtungen und Messergebnissen.

Aber die Überzeugungskraft der Begriffslandkarte genügt doch wissenschaftlichen Ansprüchen?

Das heißt natürlich nicht, daß damit nun die Philosophie überhaupt mit naturwissenschaftlichen Geltungskriterien konkurrieren könnte, es handelt sich in diesem Fall eben nur um den intersubjektiven Aspekt des Philosophierens, dessen Aufgabe Klärung im Einklang mit Forschung ist, nicht aber zugleich auch schon Orientierung, Besinnung oder gar Metaphysik usw.

Und doch haben wir es mit einem Wissen zu tun, das Orientierung bietet!

Orientierung für grundsätzliches Urteilen. Insofern repräsentiert die Begriffslandkarte unser Orientierungswissen in letzter Instanz, für das es nirgendwo eine äquivalente Entsprechung oder gar einen Ersatz gibt. Karl Jaspers hat von seiner Idee als vernünftigen Grundwissen gesprochen.

Und dieses vernünftige Grundwissen ständig unfertig?

Unfertig, insofern die Ausarbeitung der Begriffslandkarte eine endgültig nie vollendbare Aufgabe ist, dann aber auch, weil man nie endgültig sicher sein kann, die treffenden Bedeutungen gefunden zu haben.

Das Grundwissen muß also ständig überprüft und fortgeschrieben werden?

Wenn Überprüfung hier meint, daß im Fluß der Zeit neue wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Ereignisse oder grundsätzliche Einsichten auch die Namensgebung der Begriffslandkarte in neuem Licht erscheinen lassen können. Außerdem gibt es natürlich grundsätzlich stets die Möglichkeit, Bedenken zu erheben und Widersprüche einzulegen, denn es handelt sich ja um kein Verifikations- sondern um Faslifikationswissen.

Was ist der Unterschied zwischen Verifikations- und Falsifikationswissen?

Verifikationswissen ist gültig, weil sein Beweis gültig ist, Falsifikationswissen gilt, weil ein Beweis bisher noch nicht widerlegt wurde. Falsifikationswissen ist also grundsätzlich Wissen auf Zeit: Es gilt so lange, bis etwas Besseres gefunden ist.

Und wie steht es dabei um die Beweislastverteilung?

Beim Verifikationswissen hat die Beweislast der Proponent: Wer einen vorgeblichen Wahrheitsanspruch erhebt, hat ihn zu beweisen. Beim Falsifikationswissen liegt die Beweislast beim Opponenten: Wer eine noch nicht widerlegte, bewährte Wahrheitsthese in Frage stellt, hat dafür die Begründung zu liefern.

Der Zweifler muß also seine Zweifel begründen?

Vom Zweifler wird konstruktive Kritik verlangt. Die schlichte Negation genügt nicht, denn damit würde ja indirekt der Standpunkt eines Verifikationswissens eingenommen: Eine Wahrheitsthese soll gelten, ich zweifle, also beweise Du einmal Deinen Anspruch!

Aber Zweifel bleiben doch auch grundsätzlich erlaubt ohne sie beweisen zu müssen?

Aber ein Zweifel sollte sich doch als Zweifel ausweisen, und dazu gehört, daß klar ist, als was gezweifelt wird, woran warum gezweifelt wird und von welchen Voraussetzungen her. Dabei wird sich schnell herausstellen, in welcher Weise die verwendeten Termini mit denen der Begrifflandkarte kompatibel sind und in welcher nicht.

Und wenn der Zweifler auf andere Termini zurückgreift?

Dann tritt er in Konkurrenz mit den Termini der Begriffslandkarte und muß für seine anderlautenden Interpretationen den Beweisgang antreten. Da die Begriffslandkarte den Anspruch erhebt, den weitesten Interpretationsrahmen überhaupt zu repräsentieren, müßte er dabei die schlechteren Karten haben.

Aber wir sagten doch, daß auch die Termini der Begriffslandkarte nie ganz gewiß sind?

Sie sind nie endgültig gewiß, weil sie endlos getestet werden können und die Gewißheit nur mit der Zahl der scheiternden Widerlegungsversuche steigt.

Und viele Positionen der Begriffslandkarte sind nur schwach getestet?

In der Hierarchie repräsentieren die oberen Begriffsbildebenen die gründlicher getesteten Begriffspositionen, weil jede weiterführende Bedeutungsebene mit ihren zusätzlichen Wahrheitsdefinitionen ein Bedeutungstest für die vorangehende ist. Begriffsbilder, denen weiterführende Bedeutungsebenen fehlen, sind also normalerweise besonders wenig getestet.

Wenn aber so vieles der Begriffslandkarte testbar ist, wie kann man da sicher sein, überhaupt jemals mit Namen richtig zu liegen?

Das ist in der Tat ein Problem, und zwar immer gewichtiger, je ausdifferenzierter die Bedeutungsebene ist. Bei "Wirklichkeit" ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß, sich im Namen getäuscht zu haben, auch bei den Wirklichkeitsbedeutungen und den ersten Seinsbegriffen der dritten Ebene muß man sehr gespannt sein, ob noch bessere Namen gefunden werden. Aber schon bei der vier ten Begriffsbildebene läßt die Findungssicherheit nach. Noch weitergehend herrscht bei dem Stand des gegenwärtigen Ausdifferenzierungsniveaus noch hohe Unsicherheit

Aber ist die Namensgebung denn überhaupt grundsätzlich entscheidbar?

Sie ist in der Idee eindeutig entscheidbar, und zwar folgt sie dem analytischen Sinn, der von der Begriffslandkarte vorgegeben wird. Wenn es z.B. dort eine Stelle gibt, die Subjekt und Welt auf dem Boden von Welt verbindet, dann bietet sich dafür der Name "Erfahrung" an. Ob nicht noch einen passenderen Namen denkbar ist, ist damit noch nicht grundsätzlich ausgemacht. Wichtig beim Verfahren ist allein, daß er bis dato sich noch nicht gefunden hat.

Aber was macht man, wenn jemand grundsätzlich jeder Namensfindung widerspricht, weil er anderer Meinung ist?

Was heißt hier "anderer Meinung sein"? Die andere Meinung muß begründet sein. Wenn er einen besseren Namensvorschlag hat, umso besser.

Aber woran bemißt sich der bessere Namensvorschlag?

An den besseren Argumenten für den Namen. Wir sind wieder bei den Argumenten als die lezte Instanz für Überzeugungen.Wer rational überzeugen will, muß die besseren Argumente haben.

Aber wenn jemand auf seinen eigenen Argumenten grundlos beharrt?

Dann ist er ein Dogmatiker. Wer anderen nicht zugesteht, unter bestimmten Bedingungen die besseren Argumente haben zu können, scheidet als gleichgewichtiger Partner einer gemeinsamen argumentativen Wahrheitsfindung aus.

Aber wenn er Argumente zugesteht, sie aber so gebraucht, daß er am Ende immer Recht hat?

Dann ist er ein Sophist, weil er keinen Respekt vor Spielregeln hat. Argumentative Wahrheitssuche ist ja unmöglich, wenn es keine gemeinsamen Spielregeln gibt, aufgrund derer entscheidbat ist, was wahr ist und was falsch. Wer sich auf Argumentation einläßt und auch nicht nur immer Recht haben will, muß das so beweisen, daß er gemeinsame Spielreglen anerkennt

Aber wenn jemand gemeinsame Spielregeln anerkennt, dafür aber ganz bestimmte Voraussetzungen verlangt?

Dann ist er ein Ideologe. Gemeinsame argumentative Spielregeln können nicht aufgezwungen werden, ergeben sich auch nicht aus einem Kompromiß, wurzeln vielmehr im Wesen von Intersubjektivität. Gemeinsame argumentative Spielregeln folgen dem, was wahr ist. Und Wahrheit läßt sich begriffsbildlich explizieren.

Wenn aber jemand auf seiner christlichen, marxistischen, wissenschaftsgläubigen oder esoterischen Wahrheit beharrt, was dann?

Dann sagt man ihm, daß er nicht weiß, was Wahrheit "ist". Wahrheit ist nämlich immer eine Richtigkeit, Entsprechung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand, eine Evidenz, eine Wahrhaftigkeit und alles zusammen eine Unbedingtheit. Wie sollte beispielsweise ein christlicher Wahrheitsvertreter ernsthaft diesem Anspruch von Wahrheit gerecht werden können?

Wieso kann ein Christ seiner Wahrheit nicht gerecht werden?

Er kann schon seiner eigenen Wahrheit gerecht werden, aber er kann nicht dem Begriff der Wahrheit gerecht werden. Denn dazu müßte er die Richtigkeit seines Glaubens unter anderen Glaubensüberzeugungen demonstrieren, er müßte dabei ganz wahrhaftig im Blick auf Andersgläubige sein, die Evidenz der Glaubensbezeugnisse belegen, deren Korrespondenzerlebnisse nachvollziehen können und schließlich die Unbedingtheit der Paulinischen Glaubenslehre ohne wenn und aber glaubhaft machen, was alles zusammen ganz unwahrscheinlich argumentativ schlüssig gelingen kann.

Aber über Gewißheit verfügt doch auch seine Gegenseite nicht!

Über endgültige Gewißheit natürlich nie! Aber was heißt Gewißheit? Wenn man den Wahrheitsbegriff genauer analysiert, dann zeigt sich sehr genau, was Gewißheit so ist, daß man sie nicht mehr grundsätzlich dementieren kann. Wer sollte auch die intersubjektive Gewißheit der Logik bezweifeln, der nicht gleichzeitig aufhören wollte, ein Bürger zu sein? Wer könnte die Realität der Naturgesetze bezweifeln, der nicht reif wäre für das Irrenhaus? Wer wollte die mögliche Gewißheit von Fakten bezweifeln, der nicht für andere als Spinner gelten will? Wer will dürfte ernsthaft die Gewißheit der eigenen Existenz bezweifeln, der auf seine Urteilskraft auch nur etwas wert legt? Daß das letzte Wort bei der Gewißheit der Glauben hat, darf dabei nicht irritieren: Die Glaubensgewißheit zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß sie etwas für gewiß hält, was prinzipiell ungewiß ist.

Und die Gewißheit der Wahrheit?

Ist ein Postulat. Empirisch ist die Wahrheit nie gewiß, sondern muß laufend überprüft werden. Man kann unlogisch denken und falsch rechnen, sich in der Wahrnehmung bei allem täuschen und bei der Verantwortung der Wahrheit Nachlässigkeiten begehen. Als etwas Unbedingtes ist Wahrheit darüber hinaus immer einem Seinshorizont zugeordnet, den zu durchschauen nur die allerkritischsten Geister ins Auge fassen und darüber hinaus überhaupt nur ganz selten weiterverfolgen.

Aber welche Wahrheitstheorie gilt nun dabei?

Überhaupt keine, denn jede Wahrheitstheorie ist ein Widerspruch in sich selbst, weil dann sofort die Frage nach der Wahrheit dieser Theorie entstehen muß. Schon allein die Tatsache, daß heute immer noch Korrespondenztheorie, Evidentheorie, Kohärenztheorie, Redundanztheorie, semantische Metasprachentheorie, Konsenstheorie und eine Vorstellung der Heiggerschen Aletheia (Unverborgenheit) im Blick auf den unbedingten Aspekt der Wahrheit gegeneinander ins Spiel gebracht werden, ist ein deutliches Zeichen dafür, daß es mit der Herrschaft des Arguments noch nicht weit her ist.

Es gibt also das Recht auf Wahrheit gegen ideologische Wahrheitsbevormundungen?

Aber gewiß, und eigentlich müßte es als das wichtigste aller Menschen- und Grundrechte in der Atlantikcharta und dem Grundgesetz verankert sein. Wenn das Recht auf Wahrheit nicht mehr gewährleistet ist, machen die Herrschenden, was sie wollen, wir haben es bei allen totalitären Regimen des letzten Jahrhunderts beobachten können.

Und wenn nun jemand kein Dogmatiker, Sophist oder Ideologe sein will, aber alles gleichgültig an sich ablaufen läßt?

Dann ist er ein Indifferentist. Wer sich um nichts mehr kümmert, verantwortet damit, daß andere sich kümmern und er hat keinen Einfluß mehr darauf, wer diese anderen sind. Wer sich beispielsweie um Politik nicht kümmert, muß damit rechen, daß er bald von denen beherrscht wird, die ihm nicht liegen oder wohlwollen. Wer sich aber auch um Wahrheit nicht kümmert, muß verantworten, daß um ihn herum die Unwahrheit zunimmt. Und wer sich beispielsweise auch nicht wenigstens um die Idee einer Begriffsbildkarte nicht kömmert, bleibt in den eigenen Argumentationssprämissen befangen, die er für die Wahrheit hält, und ist damit mitverantwortlich dafür, wenn weiterhinm kein Grundkonsens in der Orientierung gelingt.

Argumente können sich also behaupten, wenn Wahrheit gewollt wird?

So kann man es sagen, auch wenn es nicht immer dabei um Wahrheit direkt geht, sondern um ganz bestimmte Interessen und Ziele, die allerdings wahrhaftig verfolgt werden müssen.

Und Argumente haben dann tatsächlich das letzte Wort?

Daß die Wirklichkeit nicht hinterfragbar ist, wäre ein Argument. Insofern haben Argumente das letzte Wort. Die ganze Begriffsbildlandkarte ist ein geistiges Schlachtfeld, auf dem Argumente allein das letzte Wort haben.

Was wäre dann die Welt der Argumente?

Es ist die Welt des Friedens, insofern Frieden die Herrschaft des Arguments ist. Unter der Herrschaft des Arguments gibt es Wahrheit, aber keine absolute. Unter der Herrschaft des Arguments ist alles überprüfbar und kontrollierbar, es gibt aber auch eine Grenze dafür, wo die Überprüfbarkeit und Kontrollierbarkeit nicht zum Selbnstzewck werden darf.

Die Begriffslandkarte befördert durch geistigen Frieden also auch den sonstigen?

Was sonst? Deswegen hat der ganz alte Kant noch den "ewigen Frieden in der Philosophie" gefordert, weil er genau wußte, daß dieser in letzter Instanz die Voraussetzung dafür ist, daß seine Definitivartikel des ewigen Friedens in der Politik realisiert werden können.

Wenn aber alles vorläufig überprüfbar ist, bleibt dann am Ende nicht doch die Skepsis?

Wieso denn das? Es handelt sich bei allem immer um ein Mehr oder Weniger. Skepsis wäre nur begründet, wenn alles unsicher wäre, aber dabei wird das Unbedingte mit dem Bedingten verwechselt.

Aber es gibt doch auch heute noch viele offizielle Skeptiker!

Gewiß, vom späten Ludwig Wittgenstein bis zu Wilhelm Weischedel und Odo Marquard! Aber das meiste dabei ist Koketterie. Wenn Wittgenstein z.B unterstellt, man könne selbst nicht wissen, ob man ein Gehirn besitzt, weil man es noch nicht gesehen hat, dann grenzt das an Unfug. Wenn Wilhelm Weischedel behauptet, alles sei mehr oder minder fraglich, dann kommt es eben darauf an, was hier mit "fraglich" gemeint wird: Die Wirklichkeit selbst ist nicht fraglich, aber hinterfragbar, das Fallgesetz ist hinterfragbar, aber es andauernd als fraglich zu behandeln wäre höchst unproduktiv. Ein Leben inmitten lauter Fraglichkeiten wäre im übrigen vergebliche Liebesmühe, denn die Antworten der Realität konnen gar nicht ignoriert werden. Die meisten Skeptiker sind deswegen auch "mehr oder weniger" inkonsequent. Marquard z.B. hält sich an Üblichkeiten fest, usw.

Und wie steht es um den Relativismus?

Relativismus wäre nur berechtigt, wenn alles relativ wäre, aber die Begriffslandkarte z.B. ist nicht relativ. Um etwas relativ zu setzen, braucht man einen festen Bezugspunkt, auf den hin die Relativität festgestellt wird. Das gilt auch für die Werte. Max Weber z.B., der sich dem Vorwurf ausgesetzt sah, ein Wertrelativist zu sein, bloß weil er die wissenschaftlich gültige Erkennbarkeit von Werten leugnete, hat sich stets vehement gegen diesen Vorwurf zur Wehr gesetzt

Und was sagt man gegen die Vertreter des Nihilismus?

Der Nihilismus ist nicht, wie die Skepsis und der Relativismus, eine rational anspruchsvoller Standpunkt, sondern ein metaphysischer. Seitdem Nietzsche ihn mit dem Slogan "Gott ist tot" phrophetisch verkündete, haben Existenzphilosophie, Existenzialismus und Logotherapie (Victor Frankls sogenannte dritte Wiener psychoanalytische Schule: Sinnneurosen) inzwischen längst zu einem normalen Umgang mit ihm gefunden haben. Die Wirklichkeit kann tatsächlich sinnlos erscheinen und sinnlos erlebt werden. Aber das ist ein Wert- und Verantwortungsproblem, das eng mit naivem Glaubensverlust verbunden ist, Argumentativ schlüssig wäre Nihilismus nur dann zwingend, wenn die Wirklichkeit "in Wirklichkeit" und "in Wahrheit" nichts wäre. Aber das Nichts müßte dann eben einmal verstanden werden, bevor es zum Nichts der Wirklichkeit ausgerufen wird.

Aber es ist doch legitim, wenn jamand angesichts von Endlichkeit und Tod alles als sinnlos empfindet!

Mit Legitimität hat das nichts zu tun, legitim ist alles, was argumentativ verantwortlich vertreten werden kann, aber dazu müssen halt auch die Voraussetzungen stimmen. Wer z.B. von der Voraussetzung ausgeht, das Wirkliche sei allein der gegenwärtige Augenblick, der kommt über den Moment des Verschwindens nicht hinaus und muß ihn obendrein als ein Entschwinden von Lebenszeit zusätzlich interpretieren. Bei gründlichem Nachdenken kann beides aber in erheblich anderem Licht erscheinen. Es gilt eben auch hier: wahre Argumente müssen das letzte Wort behalten anstelle von argumentativen Wahrheiten!

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HISTORISCHES:

Es ist heute geläufig, den Fallibilismus (als grundsätzliche Bevorzugung der Falsifikation gegenüber der Verifikation im Erkenntnisprozeß) mit dem Namen Karl Poppers zu verbinden, dessen "Logik der Forschung" von 1935 diese Idee gegen den Positivismus damals geltend machte. Dabei wird aber vergessen, daß Poppers Attacke in finstersterten philosophischen Zeiten, d.h. auf einem Höhepunkt des Szientismus, erfolgte und dem Gehalt entsprechend keineswegs nur Neuland war: Während der ganzen Antike hat das Falsifikationsprinzip unausgesprochen gegegolten, weil es dort noch keine Dogmatiker gab, die absolute Wahrheitsansprüche formulierten: Eine Lehre galt so lange, wie glaubwürdige Argumente für sie sprachen, anderenfalls wurde sie lautstark oder stillschweigend ad acta gelegt. Die Rhetorik der Sophisten machte es sich geradzu zur Aufgabe, allgemeine Wahrheitsansprüche nach Belieben zu widerlegen oder zu verteidigen, man entwickelte im Zusammenhang mit dieser Praxis eine hohe Perfektion der Argumentationskunst. Wenn Platon in seinen Dialogen sich dann gegen die Sophisten wendet, so nicht im Namen einer absoluten Wahrheit, sondern schlicht der argumentativen Wahrheit wegen. In keinem seiner Dialoge vermißt man die grundsätzlich Offenheit, stets hat das bessere Argument das letzte Wort, auch wenn es vielleicht nur das Argument gewesen ist, das Platon selbst für das bessere gehalten hat. Nicht als Wahrheitsfanatiker ist Platon also Gegner der Sophisten, sondern als Wahrheitssucher, der bei diesen den fehlenden Willen zur Wahrheit beklagt, logische Ungereimtheiten aufdeckt und die nihilistischen Konsequenzen von Relativismus und Skeptizismus explizit analysiert. Platon vertritt auch schon unzweideutig das Postulat der Herrschaft des Arguments: Indem sein Sokrates im Kriton bei seinem Ratschluß, ob das Fluchtangebot aus dem Gefängnis anzunehmen sei oder nicht, ausdrücklich betont, er folge nur den besseren Argumenten (logoi), hat Platon auch schon ganz frühzeitig sich zu dieser Position bekannt, es handelt sich also nicht erst um eine späte Einsicht. Und wenn Platon in seiner Politeia sich Philosophen als Herrscher wünscht, so denkt er dabei nicht an unsere heutigen Professoren der Philosophie, sondern an wahrhaftige Freunde der Weisheit, die sich nach Argumenten und nicht nur nach vordergündigen Meinungen (doxa) richten. Platon weiß, daß dauerhafter Frieden die Herrschaft des Arguments voraussetzt, auch wenn er sich Illusionen darüber machte, wie diese Herrschaft institutionell gesichert werden kann.

Wenn Platon nach den besseren Argumenten sucht, vertritt er keine dogmatische Position, sondern stellt alles auf den Prüfstand, selbst die eigene Ideenlehre, so im Spätwerk "Parmenides". Die Gesprächspartner seiner Dialoge setzen immer wieder mit neuen Fragestellungen an, wenn die alten erschöpft oder in eine Sackgasse geraten sind. Platon weiß ganz genau, daß sich Argumente nur dann entfalten können, wenn Spielregeln gelten, und deswegen wendet er sich gegen die Sophisten, die mit Spielregeln spielen und positioniert explizit gegen eine Rhetorik, die ganz auf den argumentativen Erfolg ausgerichtet ist, die Philosophie, die sich an Wahrheit orientiert und als deren eigentlichen Initiator Sokrates vorgestellt wird: Hatte doch noch Aristophanes in seinen "Wolken" eben diesen Sokrates selbst zu den Sophisten gezählt, welche "die kleineren Worte größer und die größeren Worte kleiner zu machen verstehen", wie es vielsagend zu Beginn von Platons Apologie heißt. Für das Verständnis von Wahrheit selbst verfügt Platon noch über keine ideologische Festlegung, so daß ein Martin Heidegger hier noch direkt an Platon anknüpfen kann ("Platons Lehre von der Wahrheit"), wenn er das noch unvoreingenommene Verständnis der Griechen von Wahrheit als Unverborgenheit (aletheia) für vorbildlich herausstellt. Daß Platon mit Indifferentismus, d.h. mit Leuten, denen Weisheit in Wahrheit gleichgültig ist, nichts gemein hat, braucht ausdrücklich nicht noch betont zu werden. Man kann nicht sagen, daß anschließend Aristoteles von Platons Argumentatsionslinie grundsätzlich abgewichen wäre, aber bei ihm wird jetzt alles säuberlich in Vorlesungen verpackt, in Fachgebiete getrennt und in überschaubare Gegenstandsbereiche aufgeteilt, wobei sich die Dialogform der platonischen Darstellung verflüchtigt. Argumente haben weiterhin das letzte Wort, aber zusätzlich werden letzte Argumente als Prinzipien (arche), aber auch letzte Widersprüche (aporien) herausgearbeitet, die Grundsatzdiskussionen eingrenzen. Auch Aristotesl ist kein Dogmatiker und versucht seiner argumentativen Basis entsprechend so umsichtig wie nur möglich objektiven Fragestellungen gerecht zu werden, wobei nun die Spielregeln säuberlich als Logik, Grammatik, Dialektik und Rhetorik auseinandergehalten und expliziert werden. Was Wahrheit sein soll, wird nicht vorgeschrieben, sondern sorgfältig am Satz des Widerspruch überprüft. Auch für Aristoteles ist das gute Leben allein eines, das der Weisheit in Wahrheit gewidmet ist, wenn er auch mehr Verständnis als Platon für den Alltagsmenschen aufbringt, weil er nun eben in jedem gelingenden Dasein die Natur am Werke zu sehen vermag.

Die argumentative Offenheit der Antike geht in einer ersten Etappe mit dem Christentum verloren und bleibt mit der anschließenden Inthronisation eines absoluten Gewißheitsideals bis hin zu Poppers Revokation in einer zweiten Etappe weiterhin unterdrückt. Nachdem der Verifikationimus letztendlich längst durchschaut worden war, blieb es einer dritten, immer noch andauernden Etappe, gleichsam in Nachhutgefechten vorbehalten, weiterhin hartnäckig die neue Offenheit auf verifikationistischer Basis reglementieren zu wollen. Seither haben Neopragmatismus und Postmoderne zu einem lockeren Umgang mit Argumenten zurückgefunden, man bevorzugt das konkrete und meidet das abstrakte Argument, rehabilitiert den gesunden Menschenverstand und mißtraut allen Verallgemeinerungen. Das heißt nicht, daß heute die Argumente herrschen würden, so daß ja dann am Ende allenthalben tatsächlich radikale Konsequenzen aus der umfassendsten Prämisse, der Wirklichkeit nämlich, gezogen würden: Dazu ist der Neopragmatismus zu vordergründig zweckorientiert und die sogenannte Postmoderne insgesam zu ästhetisch ausgerichtet. Wenn in diesen Kreisen argumentiert wird, scheint es im ersten Fall eher auf Selbstbehauptung, im weiten eher auf Selbstverwirklichung anzukommen, die Wahrheit um der Wahrheit willen ist kaum noch irgendwo populär. Genau das aber ist der Punkt: Die konsequente Rehabilitation des Arguments bedeutete die Wahrheit um der Wahrheit willen zu wollen und damit zu einer Denkhaltung zurückzufinden, die einmal Platon und Kant vorgelebt haben. Jede wahrhafte Erneuerung der Philosophie, die keine Erschlaffung oder Trivialisierung sein will, muß sich an diesen Vorbildern orientierend auf diesen Weg machen.

Zunächst stellte in einer ersten Etappe das paulinische Christentum Platons Wahrheitsverständnis konseqquent auf den Kopf: Nicht mehr die unbestimmten Wörter waren nun länger der Ausgangspunkt der Erkenntnis, und nicht mehr die Wahrheit der Wirklichkeit das Ziel der Erkenntnis (episteme) , sondern von nun an stand der Glaube (pistis) an eine geoffenbarte Wahrheit am Anfang, und der Rest entsprach dem Bemühen, Wirklichkeit und Welt mit diesem Glauben in Übereinstimmung zu bringen. Weil sich dabei weder über das legitime Glaubensverständnis jemals eine freie argumentative Übereinstimmung herstellen ließ, (stattdessen beherrschte von nun an Buchstabenfetischismus und höriges Apologententum die Bühne), noch jemals ein intersubjektiv evidentes Wissen über die Realitäten, (hier übernahmen Traditionalisten und blutleere Formalisten das Kommando), wurden die Argumente schnell entmachtet: Von jetzt an gab es zweierlei Wahrheit, die eine nämlich für die Glaubensinterpretation, die andere für die Weltinterpretation, und es gab zwei Wahrheitsinstitutionen, die glaubensmäßig offiziell ausgewiesene der traditionell Legitimierten oder Herrschenden, und die wissenmäßig realistische des Alltags. Die Gewalthaber konnten es einmal mit der einen wie mit der anderen halten, sie verstanden es bald, sich beide dienstbar zu machen. Dieser Zustand kennzeichnet das christliche Abendland bis zur Aufklärung, danach hat er noch seine Spuren bis hin zu den Totalitarismen des zwanzigsten Jahrundert hinterlassen: Für die Wahrheit war am Ende noch das kommunistische Politbüro oder der faschistische Führer zuständig, ein einzelner hatte da keine Chance, sich auf Wahrheit zu berufen. Als Micheal Gorbatschow das absolute Wahrheitsmonopol der kommunistischen Partei der Sowjetunion offiziell für beendet eklärte, wird er wohl gar nicht so genau dabei im Kopf gehabt haben, daß damit der Schlußstrich unter eine zweitausendjährige Fehlentwicklung der abendländischen Vernunftgeschichte gezogen wurde. Beim immer noch nicht aufgegebenen Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes darf man in diesem Zusammenhang getrost abwinken, von ihm geht keine Gefahr mehr ist, ist eher ein Stück Folklore!

Solange die Glaubenswahrheit dominierte, blieben Argumenten nur eine dienende Rolle, man kann das an den Selbstgesprächen Augustins ganz ebenso zeigen wie an den späteren so sehr um Objektivität bemühten Disputationen eines Thomas von Aquin in seiner Summa:die Reihenfolge von Rede, Gegenrede und Summe werden pedantisch eingehalten, dienen aber sämtlich nur dem Zweck, den paulinischen Glauben als Dogma von angemeldeten oder denkbaren Widersprüchen zu befreien. Erst Nikolaus von Kues findet wieder mit neuerlichem Blick auf Platon, weg von Aristoteles, in seinen Dialogen zu einer stärkeren Gewichtung des Arguments zurück: Das Dogma ist jetzt nicht mehr so wichtig, dafür gilt es, die Grenze zwischen dem absoluten Nichtwissens des Glaubens und dem bedingten Wissen der Welt genauer zu bestimmen, und dafür reichen Glaubenswahrheiten allein sowenig aus wie Grundsätze der Logik und Erfahrungen der Realität. Man muß sich dazu schon auf die Vernunft besinnen, und das war dann dreihundert Jahre später die große konsequente Leistung Kants. Kant hat auf dem Boden der modernen Wissenschaft in jeder Hinsicht wieder an Platon angeknüft, indem er explizit der Vernunft das letzte Wort zusprach und dafür seinen Gerichtshof der Kritik etablierte, vor dem allein Argumente zählten. Kant hat in seinen Kritiken Platons ursprüngliches erkenntnistheoretisches Primat des Wissens vor dem Glauben gegen Paulus rehabilitiert und damit wieder der Wahrheit zu ihrem ursprünglichen Recht verholfen: Dogmatismus wurde wieder zum natürlichen Gegner, die argumentative Wahrheit bekam wieder das letzte Wort und die transzendentale Reflexion sicherte der Wahrheit ihre Unabhängigkeit von weltanschaulichen Beeinflussungen. Mit dieser befreienden Einsicht räumte dann aber der Deutsche Idealismus von Fichte an bald wieder auf: Die wahren Argumente wurden vorgängig nun einer Konstruktion des Absoluten zugesprochen und von dort her so entfaltet, daß als Spielregeln nur noch die Eigengesetzlichkeiten der unterstellten Absolutheit galten und es keine Möglichkeit mehr gab, sich außerhalb dieser zu stellen um vielleicht auch einmal wieder Grundvoraussetzungen in Frage zu stellen. Aus dem christlichen Glauben ist im Deutschen Idealismus der Glaube an die Absolutheit eines bestimmten Systems geworden, die Rangfolge von Glauben und Wissen blieb somit paulinisch. Im Deutschen Idealismus wurde nicht argumentiert, was immer dagegen deutsche Philosophieprofessoren auch heute noch einzuwenden haben! Das blieb auch bei seinen Epigonen bis hin ins zwanzigste Jahrhundert so, bis hin zu einem Georg Lucacs, Ernst Bloch und Theodor W. Adorno, auch wenn keiner von ihnen offen bereit war, diese Eigenschaft ihres Denkens offen zu bekennen.

Die zweite Etappe ist eine Gegenwendung zum christlichen Primat des Glaubens: Als es Descartes gelang, seinen angeblich universalen Zweifel mit Hilfe der Ratio zu überwinden, da stützte er sich, am Vorbild der Mathematik orientiert, auf vorgeblich klares Wissen (clare et distincte). So sicher wie in der Mathematik, so sicher sollte auch die philosophische Evidenz sein, Leibniz und Spinoza folgten ihm in dieser Aufffassung. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Idealismus und dem verblüffenden Siegeszug der modernen Naturwissenschaft im neunzehnten Jahrhundert setzte sich in naturwissenschaftlichen Kreisen die Auffassung Descartes immer mehr durch, man war bestrebt, das sich so glänzend bewährende wissenschaftliche Wissen auf eine unanfechtbare Basis zu stellen, so daß sich Argumente lediglich noch im Dienst von logischen Schlußforderungen zu bewähren hatten, für sich stehend waren sie überflüssig. Wenn Argumente aber nur noch die Aufgabe haben, unumstößliche Wahrheiten sichtbar zu machen bzw zu verifizieren, dann sind sie ins zweite Glied gerückt: So versuchte Ludwig Wittgensteins "Tractatus Logico-Philosophicus" die Logik als Spiegel der Welt zu interpretieren, es gab daneben zwar noch das Unaussprechliche, aber darüber bliebe nur das Schweigen. Der Positivismus Schlicks und Carnaps suchte sinnlose Sätze zu diagnostizieren, entlarven und diskriminieren, um sie anschließend aus dem Verkehr zu ziehen, so als gälte es, freilaufende Argumente vor ihnen zu schützen! Williard van Orman Quine reinigte dann die Logik am Maßstab der Quantifizierbarkeit, so daß Pseudologisches deutlich ausgesondert und anderen Disziplinen überantwortet werden konnte, in seinen Augen keine Rehabilitierung eher eine Abwertung des Arguments. In dieser Situation ist es ein Verdienst Karl Poppers, das Falsifikationsprinzip explizit eingeführt, die Theorienbezogenheit faktscher Aussagen aufgedeckt und die wichtige Rolle metaphysischer Projektionen bei der Theorienbildung betont zu haben. Gleichzeitig organisierte sich auch andernorts der Widerstand gegen die "Tyrannei der Gewißheit", so entwickelte sich der späte Ludwig Wittgenstein zu einem erklärten Skeptiker, Thomans Kuhn zeigte, daß die Theorienabhängigkeit der Wissenschaften noch weniger berechenbar war, als es Popper angenommen hatte und Paul Feyerabend leitete daraus postwendend einen grundsätzlichen Relativismus ab. Gleichzeitig rehabilitierten Perelmann, Toulmin und Gadamer gegen den Verfikationismus zusammen mit der antiken Rhetorik auch das Argument. Damit war aber die Herrschaft des Arguments noch nicht wieder hergestellt, es gibt noch eine dritte Etappe, deren Abschluß zwar Hilary Putnam und Richard Rorty seit längerem verkünden, deren Anhänger aber allenthalben noch in offiziellen Ämtern Machtpositionen sich befinden.

Weil viel zu viele weiterhin von der Auffassung durchdrungen waren, mit Freges Logizisimus habe sich ein nicht rückgängig zu machender Paradigmenwechsel in der Philosophie hin zur Intersubjektivität vollzogen, wurde nun wiederum das Argument theoretisch eingefangen und auf vorängige Intersubjektivitätsvoraussetzungen festgenagelt. Kommunikation, Information, Bedeutung, Kontext, Metapher, Paradigma, Norm, Dialog, Diskurs und eben Argumentation selbst, all diese Kristallisationspunkte der Intersubjektivität wurden jetzt wieder zu Vehikeln möglichr gültiger Argumentation verabsolutiert: Da stritt man sich um Kommunikations- und Informationstheorien, eine Wahrheitssemantik sollte das Bedeutungsproblem metasprachlich meistern, Interpretationslehren sollten mit Kontexten, Metaphern und Paradigmen analytisch oder systemtheoretisch fertig werden, immer wieder wurde versucht, die Wahrheitsfähigkeit normativer Aussagen zu begründen oder deontologisch abzuleiten, dialogische Schemata wurden entworfen, um wahre Aussagen formal gültig einführen zu können und schließlich entstand eine Diskursphilosophie, die Verfahrensregeln zu entwicklen suchte, aufgrund derer Argumentation ihren Weg zu zu wahren Sätzen finden sollte. Die durchgehende Auffassung war dabei, daß Argumente nur stichhaltig sein können, wenn sie an der Leine irgend einer Theorie daher kommen. Dementsprechend etablierte sich in der Folge eine regelrechte Theorie der Argumentation, die jetzt sehr in die Nähe der antiken Rhetorik kam mit dem allerdings wichtigen Unterschied, daß es nunmehr allein noch um wahre Aussagen ging, nicht mehr vor allem darum, schön zu sprechen und erfolgreich zu überzeugen. Aber weil heute noch eine jede unvermittelte Argumentationstheorie obendrein nur im Bund mit einer der konkurrierenden Wahrheitstheorien sich etablieren kann, ist von vorn herein klar, daß das erklärte Ziel der Verbindlichkeit so nicht erreicht werden kann.

Beispielhaft für eine neuerliche Strangulierung der Argumentation, an der fixen Vorstellung orientiert, dem herkömmlichen Verifikationsprinzip genügen zu müssen, darf der in Deutschland meistzitierte Denker, Jürgen Habermas,gelten. Mit dem unbedingten Willen zur Verbindlichkeit auf dem geistigen Boden des Deutschen Idealismus gestartet (1), wandte er sich mit seinen Frankfurter Freunden vom Institut für Sozialforschung in den sechziger Jahren gegen alles, was theoretischer Einsicht grundsätzliche Grenzen setzte, gemeint waren Kant und Max Weber, aber auch ein vermeintlicher Positivismus, der praktische Fragen auch für grundsätzlich unentscheidbar hielt und der Kritische Rationalismus Karl Poppers, der absoluten Verbindlichkeiten sowieso längst den Abschied gegeben hatte. Auf dem Weg der argumentativen Selbstbehauptung dieser Verbindlichkeit - (die eigentliche Konstante des Habermasschen Denkweges!) - wurden zunächst mit Herbert Marcuse und linker Psychonalyse , (noch ganz idealistisch, wenn auch materialistisch gewendet), neomarxistische Klasseninteressen bemüht, die als selbstreflektiert und emanzipativ ausgewiesen vernünftig sein sollten(2). Habermas huldigte auf dieser Stufe einer Konsenstheorie der Wahrheit, von deren Unhaltbarkeit ihn nicht zuletzt die Turbulenzen der achtundsechziger Studentenrevolution überzeugten Es galt nun, zusätzliche Kriterien für die Richtigkeit des eigenen Standpunktes zu finden, und dabei half sein Freund Kar Otto Apel, von dem er auf die sogenannte sprachliche Wende in der Gegenwartsphilosophie aufmerksam gemacht wurde. Dieser Terminus, inzwischen längst als Mißverständniß längst entlarvt, wurde fortan das Leitseil, an dem sich Habermas, stets weiter um Verbindlichkeit bemüht, Schritt für Schritt entlanghangelte. Immer blieb er fortan bei der Hochbewertung des "linguistic turn" und stets war es ihm von da an ausgemacht, daß mit dieser Wende ein eindeutiger philosophischer Fortschritt verbunden sei. Alle Hebel der Sprachphilosophie wurden in Gang gesetzt, um den ersehnten Boden der Verbindlichkeit doch noch als Sieger einzunehmen, von Wittgesteins Sprachspielen, Austins Sperchakttheorie oder Chomskys Syntaxtheorie angefangen bis hin zur Wahrheitssemantik, Sprachpragmatik, den dialogischen Definitionslogiken und Kommunikationstheorien sämtlicher Provinienz wurde alles unter die Lupe genommen und auf seine Tauglichkeit für Verbindlichkeit geprüft.

Der Reihe nach folgten nun folgende Schritte; In der Pose eines neuen Kant wurde zunächst die postulierte Wende zur Intersubjektivität mit einer sogenannter "Transformation der Transzendentalphilosophie" begründet, indem man im direkten Anschluß an Peirce das angeblich monologische Grundprinzip Kants apriorisch durch das vorgebliche kommunikative Prinzip gemeinsamer Wahrheitsfindung ersetzte (3). Die Verständigung rückte nun vorgeblich an die Stelle, an der Kant in der transzendentalen Analytik eine letzte synthetischen Verstandesleistung antizipiert hat, und diese Verständigung galt es nun als verbindlich zu explizieren, aber wie? Zunächst postulierte man, (noch in verdächtiger Nähe zur herrschaftsfreien Gesellschaft), den herrschaftsfreien Dialog, unter dessen Leitidee die Verbindlichkeit der Verständigung gewährleistet sein sollte (4., Der dadurch aber provozierte Gesprächszwang, hatte nicht nur in der Praxis verhängnisvolle Entscheidungsschwächen zur Folge, sondern zeigte auch theoretisch, daß über die Forderung nach Freiheit hinaus eigentlich keine weiteren Formalien ableitbar waren und generell als vernünftig beurteilt werden konnten. Auf diese Weise wurde Habermas gezwungen, sich die Argumentation genauer anzusehen. Weil es aber bei der These von der linguistischen Wende und der kommunikativen Transzendentalität blieb, konnte es nun nicht mehr einfach um eine schlichte Rehabilitierung der Argumentation gehen, sondern lediglich um ihre letztendliche Einbettung in Verfahrensregeln des Diskurses (5). Habermas landet also bei einer Diskurphilosophie, die immer noch davon lebt, Argumentation zu bevormunden und dafür irgendwann einmal auch die entsprechende Rechtfertigung zur Verfügung zu haben. Statt die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, werden immer noch formale Regelungen gesucht, um dieser ganz bestimmte Wahrheiten vorzuschreiben. Es ist kein Wunder, daß solche Regeln sich immer dann blamieren, wenn sie ganz konkret auf praktische Probleme angewendet werden: Habermas hat es deshalb nicht zum "Päceptor Germniae" gebracht, als den er sich bestimmt gern gesehen hätte und dessen Gestus ihm nur zu nahe lag, mit den Jahren immer geläufiger wurde. Natürlich steht Habermas in der Öffentlichkeit heute insgesamt für das Argument. Aber seine praktischen Ratschläge sprechen nicht für die selbsternannte Rolle, Orientierungsmeister aller Klassen in Sachen Argumentation zu sein.

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Letzte Änderung dieser Seite: 12.07.2003