Begriffsbildmaßstab

Die Begriffsbildlandkarte hat ihren Maßstab an den ausdifferenzierten Bedeutungsebenen: Im Ausdifferenzierungsprozeß findet lediglich eine Verkleinerung des Großmaßstabes, den das Begriffsbild "Wirklichkeit" bietet. In der Verkleinerung werden immer mehr Details sichtbar, die in unterschiedlichen Gegenden des Begriffsbildes zu Hause sind. Der Verkleinerungsprogreß stößt allerdings an die Grenze der Auflösefähigkeit dessen, was "ist": Von einem bestimmten Verkleinerungsmaßstab an werden die Bilder unscharf, weil sich die Ausgangsbedeutungen verwischen und entweder in andere Bedeutungen übergehen oder an eigene Grenzen stoßen.Verkleinerungen sind von jedem Ort der Begriffslandkarte aus möglich.

Dieses Eingangsstatement ist schwer verständlich. Kann man das nicht einfacher sagen?

Die Sache selbst ist nicht einfach, und deswegen wird man es kaum einfacher sagen können. Aber natürlich muß auch hier klar werden können, worum es geht. Die Frage ist doch, wo wir letztlich enden, wenn wir die Bedeutungsfrage immer neu stellen und die Begriffsbildlandschaft immer genauer darstellen wollen.

Wenn Bedeutungsebenen Verkleinerungsmaßstäbe von "Wirklichkeit" meinen,dann gibt es doch dafür keine Grenze?

Vorsicht! Es könnte sein, daß eine entsprechend kleine Verkleinerung einfach nichts mehr zeigt, weil dafür die wirklichen Konturen zu groß sind. Wenn beispielsweise die postulierten X-Teilchen in der Physik tatsächlich die kleinsten möglichen Teilchen wären, dann würden weitergehendere Verkrleinerungen der Begriffslandkarte nicht einmal deren Teile abzubilden vermögen, vielmehr sich als inhaltssleer herausstellen.

Aber wie sollte es ein Ende geben können, wenn wir doch im Prinzip immer genauer nach der Bedeutung fragen können?

Im Prinzip können wir immer weiter nach Bedeutungen fragen, aber ob wir das auch faktisch können, ist eine andere Frage. Vor Einstein hatte man auch gedacht, die Geschwindigkeit einer Masse beliebig erhöhen zu können, bis sich die Lichtgeschwindigkeit als definitive Grenze herausstellte, weil mit ihr die Masse unendlich wird.

Aber Bedeutungen kann man doch nicht physikalischen Objekten vergleichen!

Natürlich nicht, was einer gr0ßen Ähnlichkeit entspräche. Aber bei allem Wirklichen ist im Prinzip Verglcichbarkeit nicht untersagt, wenn es sich dabei auch um noch so entfernte Bezugspunkte und um noch so sachfremde Relationen handelt.

Wie sollten aber Bedeutungen plötzlich aufhören, Bedeutungen zu sein?

Sie hören in diesem Fall nicht auf, Bedeutungen zu sein, aber sie können sich im Laufe der Ausdifferenzierung zu Bedeutungen gewandelt haben, die eigentlich nur noch eine Vorstufe zum Ausgangsbegriff darstellen, nicht mehr ein konstitutives Bedeutungselement.

Aber was ist dann im Verlauf der Ausdifferenzierung von Bedeutungen mit Ursprungsbedeutungen geschehen?

Sie haben sich im Verlauf der Neubestimmungen langsam transformiert und sind irgendwann einmal zwar immer noch Bedeutungsbauelemente, aber nicht mehr Bauelemente der Bedeutung.

Kann das ein Beispiel erläutern?

Wenn wir z.B. nach der Bedeutung von Wirklichkeit als Subjekt fragen und uns dabei ganz streng bei jedem Ausdifferenzierungsprozeß an die ursprünglich weltliche Seite halten,dann kommen wir in Bereiche, in denen nicht mehr eindeutig entschieden werden kann, ob man es noch mit subjektiver Wirklichkeit zu tun hat, die zweifellos noch dem Begriff Subjekt" zuzurechnen ist, oder um anorganische Materie, die eigentlich zum Begriff Materie gehört. Als notwendiges Element von Lebensbausteinen gehören z.B. bestimmte Molekülaffinitäten noch zum Leben und Lebewesen und damit zu Subjekten, von sich her aber als den Kritieren von Materie entsprechend, und nicht denen von wirklichem Sujekt, zu dieser. Um ein anderes Beispiel noch zu nennen: Wenn die Bedeutung von Sollen extrem verkleinert sich als Geltungskrise herausstellt, dann handelt es sich dabei gewiß um eine Urbedeutung, der sich das entstehende Sollen verdankt, aber zur Bedeutung von Sollen gehört er nicht mehr, ohne diese Bedeutung selbstwidersprüchlich machen zu wollen.

Dabei geht es jetzt aber nicht mehr um ein Unscharfwerden, sondern um direkte Selbstwidersprüche.

So ist es. Geltungskrise gehört begrifflich eher zu Grenzsituation, als die sich zwar das Sollen in einer Bestimmten Bedeutung auch herausstellt, aber nur in dieser: Im Begriff des Sollens schwingt direkt die Krise nicht mit. Bei dem Sinn von Sinn von Sein hatten wir in letzter Instanz eine ähnliche Situation. Die Wirklichkeit stellte sich dabei als paradox heraus, was sie für uns auf einer in ihrer Unhintergehbarkeit auf einer bestimmten Bedeutungsstufe auch ist. Aber zugleich gehört der Begriff Paradoxie eher zur Grenzsituation als etwas Wirkliches, denn zum wirklichen Sein: Denn dieses kann eindeutig beim Namen genannt werden, ist also bedeutungsmäßig selbst nicht paradox.

Warum aber hat es in diesem Fall keinen Sinn mehr, nach der Bedeutung von Paradoxie weiterzufragen?

In dem Augenblick, wo eine bestimmte Bedeutungskomponente in den definitorischen Herrschaftsbereich eines anderen Begriffs übergeht, würde eine Fortsetzung der Bedeutungsdifferenzierung nichts mehr Wesentliches zum Verständnis des Ausgangsbegriffs beitragen, weil sie eigentlich einen anderen Begriff interpretiert.

Kann man in diesem Sinne von der Begriffsbildlandkarte als von einem geschlossenen System sprechen?

Insofern es sich um eine Landkarte von "Wirklichkeit" handelt, müssen wir von einem geschlossenen System ausgehen, wenn nicht die Unhinterfragbarkeit von Wirklichkeit ins Absurde gesteigert werden soll. Es gibt eben bei allem Wirklichen die definitive Grenze, an der auch das Unfragbare als solches angesprochen ist und jede weitere Frage nur noch von der Sache ablenken würde.

Aber wenn Wirklichkeit tatsächlich unhintergehbar ist, dann ist doch der Fragen kein Ende!

Der Fragen gibt es grundsätzlich kein Ende. Etwas anderes aber ist es, ob sinnvolle Fragen ihr Ende finden. Es kann eben irgend wann einmal auch über das endlose Fragenkönnen alles Wesentliche gesagt sein, wenn das mit der Unhintergehbarkeit ganz ernst genommen werden soll.

Kann man das Systemganze dann als einen Kreislauf verstehen, der am Ende zu seinem Ausgangspunkt zurückfindet?

Im Falle der Wirklichkeit selbst kann man das so sagen. Die unhintergehbare Ausgangsbedeutung wird fragemäßig mit dem Sinn von Paradoxie so eingeholt, daß die Unhintergehbarkeit durch die faktische Sinnlosigkeit des Weiterfragens in ihrer Ursprungsbedeutung drastisch vorgeführt wird.

Ist dann der Umschlagspunkt ins Sinnlose der Gipfelpunkt der Bedeutungsanalyse?

Wenn man "Gipfelpunkt" als den Punkt versteht, an dem bedeutungsmäßig alles Wesentliche erschöpfend gesagt ist, dann trifft das zu. Es handelt sich dabei um eine äußerste Zuspitzung der ursprünglich im Ausgangsbegriff angelegten Grundbedeutung.

Wie kommte es aber zu dieser Zuspitzung, wo doch im Prinzip eine Bedeutungszerlegung am Werk ist?

Wenn Sein sich bedeutungsmäßig als Sosein, Seiendes und Dasein herausstellt, dann entfernen wir uns in der Tat vom ursprünglichen Ausgangspunkt einer unhintergehbaren Wirklichkeit, weil im Dasein zwar immer noch die Unhintergehbarkeit von Wirklichkeit anwesend ist, zumal es sich um eine Verdeutlichung von Wirklichkeit handelt, andererseits aber auch Wirklichkeit im Dasein immer hintergehbarer geworden ist, indem man den Deutungsgang zurückverfolgt.

Wie kommt es dann aber, daß die Zuspitzung selbst wieder die direkt die Unhintergehbarkeit repräsentiert.

Weil das Dasein, wie oben gesagt, deutungs- und bedeutungsmäßig ein Umschlagspunkt ist, an dem die Ausdifferenzierung ins erkennbar Gemeinte ihre äußerste Zuspitzung erführt, von der her es nun gilt, rückläufig die Ursprungsbedeutung der Unhinterfragbarkeit neu anzueignen. Das Dasein ist insofern seinerseits eine Zuspitzung im Bedeutungskreislauf als Wendepunkt.

Aber wie kann das Dasein ein Wendepunkt der Bedeutungsanalyse sein?

Im Dasein sind alle möglichen Wirklichkeitsbedeutungen der Seinsbestimmung erschöpft, es wendet sich der Blick wieder zurück auf den ursprünglichen Bedeutungsbezug.

Aber wie kann das Dasein jede Wirklichkeitsbedeutung erschöpfend repräsentieren?

Indem die Wirklichkeit als etwas Wirkliches in das transformiert wird, was "ist", nehmen wir a) zunächst einmal die intersubjektive Grundperskektive ein: Wir nähern uns der Wirklichkeit quasi ausschließlich aus intersubjektivem Interesse. Indem uns b) diese intersubjektive Wirklichkeit in bestimmt Unterschiedenes zerfällt, beschreiben wir die Wirklichkeit als Welt. Wenn wir c) das Sosein als Seiendes begreifen, erweitert sich uns die Welt zu dem was von Anfang bis Ende in der Zeit sich faktisch ereignet, und wenn wir d) nun dieses Ereignenkönnen als jeweiliges Dasein des Ereigneten erfassen, dann haben wir einen Punkt erreicht, von dem her keine neue Wirklichkeitsbedeutung mehr denkbar ist.

Aber es wird doch im Dasein faktisch weitergefrag!.

Eben, aber dem Dasein bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als sich selbst zu hinterfragen, und dabei geraten dann die Deutungsresultate wieder zunehmend in die Regionen des Unbestimmten und Unbestimmbaren der Ausgangsbedeutung von Wirklichkeit zurück.

Es git also eine Wendemarke auf der Begriffslandkarte und einen Haltepunkt?

Die fünfte Bedeutungsebene ist ein Zäsur, weil von da an Wirklichkeitsbedeutungen nicht mehr zusätzlich expliziert, sondern in ihrer Unbegreifbarkeit präzisiert werden.

Von der fünften Bedeutungsebene an tendieren die Zusatzbedeutungen also wieder mehr ins Unbestimmte?

Zwangsläufig ja, denn die Erscheinungsmöglichkeiten von Wirklichkeit sind erschöpft. Es bleibt jetzt nur noch, deren Unhintergehbarkeit immer noch genauer beim Namen zu nennen.

Wir können also maximal von zehn Bedeutungsebnen ausgehen, welche die Begriffslandkarte erschöpfend repräsentieren.

Man darf dabei nur nicht vergessen, daß man natürlich immer noch weiterfragen kann, wenn man will, daß es eben aus den genannten Gründen nur wenig Sinn hat, dies zu tun.

Und diese zehn Bedeutungsebenen lassen sich mit Wende- und Endpunkt gleicherweise überall nachweisen?

Das muß möglich sein. Wenn wir beispielsweise die Intersubjektivität ausdifferenzieren, kommen wir auf der fünften Ebene zum Philosophieren. Philosophieren und Dasein gehören zusammen, insofern der Ort des Philosophierens das Dasein ist und auch das Philosophieren als ein gewisser Wendepunkt verstanden werden kann.

Wie zeigt sich der Wendepunktcharakter beim Philosophieren?

Als Seinsbestimmung geht es ihm um die Bedingungen der Möglichkeit seiner selbst, dazu bedarf es als Voraussetzung der Intersubjektivität (Seinsentsprechung), der Verständigung (Soseinsentsprechung), des Diskurses (Entsprechung des Seienden). Der Diskurs schließlich findet im Dasein statt und ist der Ort, diese Zusammenhänge zu explizieren.

Und im Philosphieren nimmt der Diskurs wieder die Rückbesinnung auf den eigentlichen Ausgangspunkt auf?

Das kann man so beschreiben. Das daseiende Philosophieren, das sich seiner Voraussetzungen versichert hat, stellt sich die Frage nach seinem eigenen Wirklichsein und Sinn. Es geht dabei der Reihe nach über in Metaphysik (auf Transrealität) , Transzendieren (auf Transzendenz), Glauben (auf Transintelligibilität) , Mystik (auf Mysterium), schließlich in Religion (auf das Paradoxe), wenn dieses Wort den hier gemachten Vorgaben entsprechend richtig verstanden wird.

Religion wäre hier also als Endpunkt möglichen Philosophierenkönnens verstanden.

Das heißt nicht, daß Philosophie abgeschafft werden müßte und in Religion überzuführen, sondern lediglich, daß am Endpunkt aller Fragemöglichkeiten die Wirklichkeit als Paradoxie nur noch einer Lebenshaltung entsprechen kann, die sich mit der Wirklichkeit als dem Wunder schlechthin auf letzter Höhe befindet. Das ist natürlich nicht der herkömmliche Sinn von Religion!

Tatsache aber ist, daß wir bei Religion wie auch bei Paradox auf der zehnten Ebene weiterfragen können!

Ganz sicher können wir von beiden Begriffen vollständige Begriffsbilder herstellen, die Frage ist nur, was sie uns zum Ausgangspunkt, nämlich Wirklichkeit als Intersuhjektivität , noch informativ mitteilen.

Wenn diese Informationen entweder sinnlos sind oder in einen anderen Begriff übergehen, in welchen dann?

Da gibt es zwei Möglichkeiten. Wir haben bei Molekülaffinität gesehen, daß sie von sich her eigentlich schon zum Begriff "Materie" gehört, nicht mehr zu dem von Wirklichkeit als Subjekt. Molekülaffinität ist noch keine Subjektivität, diese gibt es aber nicht, ohne die Voraussetzung von Molekülaffinität, und insofern ist Molekülaffinität der Endpunkt der Bedeutungsanalyse von Subjekt als Lebewesen, Lebenswesen, Leben, Organismus usw. Wenn wir aber jetzt nicht das wirkliche Subjekt als Ausgangsbegriffsbild wählen, sondern auf der weitergehende Bedeutungsebene "Lebwesen" nehmen, dann verschiebt sich dementsprechend die zehnte Bedeutungsebene und wir können die Voraussetzung für Molekülaffinität, nämlich Großmoleküle, als Endbedeutung nehmen usw. Großmoleküle gehören eindeutig zu Materie und erheben keinen sujektiven Bedeutungsanspruch mehr, außer dem, Voraussetzung für Molekülaffinität zu sein. Auf Lebewesen bezogen gibt es aber doch noch den äußersten Bedeutungsbezug, eben den der zehnten Ebene, weil Lebewesen als Organismen auch aus Makromolekülen bestehen.

Und das gilt für alle Bedeutungsausdifferenzierungen?

Es kommt nicht darauf an, daß vom Wirklichkeitsbegriff als maximaler Großaufnahme der Begriffsbildlandarte die Bedeutungsebenen heruntergerechnet werden, sondern jedes einzelne Begriffsbild hat seine eigenen zehn Bedeutungsebenen. Wenn wir z.B. die Bedeutungsausdifferenzierung von Wirklichkeit als Sein beim Sosein beginnen, dann können wir noch sinnvoll in Bezug auf Sosein zusätzlich von Vorsein als Steigerung von Paradoxie spreche. Als Bedeutungszuspitzung von Sein wäre "Vorsein" kein Analyseendpunkt, weil damit sich die Bedeutung von Paradoxie verschieben würde: Vorsein ist ja im Blick auf Sein die Wirklichkeit selbst. Im Blick aber auf Sosein bekommt Vorseien den ganz bestimmten Sinn einer soseienden Paradoxie: Seinsmäßig soll etwas zum Ausdruck geracht werden, was es erst gar nicht zur Seinsfähigkeit gebracht hat.

Und die Parallele dazu beispielsweise beim Endpunkt Religion?

Wenn für wirkliche Intersubjektivität Religion die Endstation ist, Wirklichkeit zu erfassen, dann verlängert sich auch diese Endstation um eine Bedeutungsebene, wenn wir von Intersubjektivität zu Verständigung übergehen und auf dieses Begriffsild die Bedeutungsanalyse beziehen. Für Verständigung wäre die Religion noch genauer als das Numinose, und für Diskurse weiter, als Erlösung der jeweilige Endpunkt der Analyse, an dem weitergehende Bedeutungsangaben entweder in andere Begriff hinübertriften oder aber zu Sinnlosigkeiten führen.

Wenn jedem Begriffsbild seine zehn Bedeutungsebnen sinnvoll zustehen, geraten wir dann nicht ins Unendliche?

Insofern auch noch die Begriffbilder der zehnten Bedeutungsebenen ihre je eigenen zehn Bedeutungsebenen ausbilden können und das so fort, handelt es sich in der Tat um einen prizipiellen endlosen Regreß. Die Begriffsbildlandkarte scheint also doch ihre Basis im Unendlichen zu haben. Die Frage ist nur, wie wir hier das Unendliche verstehen.

Aber wieso soll hier des Unendliche einen besonderen Sinn haben?

Unter "unendlich" versteht jeder das, was er sich speziell darunter vorstell, so kann man ja eine Kreisbewegung, die nie an ihr Ende kommt, unendlich nennen. Was bitte ist der normale Sinn von unendlich?

Eben , ohne Ende im Großen und im Kleinen, in der Zeit und für alle!

Was heißt aber aber "ohne Ende"? Weltlich gesehen bedeutet es, daß keine räumliche Grenze auszumachen, subjektiv, daß kein vorstellbares Ende in Sicht, und intersubjektiv, daß keine gedachte Grenze grundsätzlich erreichbar ist. Nur ereignishaft meint "ohne Ende" den unaufhaltsamen Fortgang in der Zeit, wohin auch immer und in welcher Absicht auch immer.

Das wären die Wirklichkeitsbedeutungen von Unendlichkeit. Was wäre deren Seinssynthese?

Unendlichkeit ist selbst eine Seinssynthese, die Offenheit von Möglichkeit überhaupt als Einheit von Indeterminiertheit, Unentschiedenheit, Grenzbeliebigkeit und Unabsehbarkeit synthetisch zusammenfassend meint. Unendlichkeit "ist" als diese Synthese Unbestimmbarkeit im weitesten Sinn.

In welchem Sinn wäre dann die fortlaufende Begriffsbildlandkarte unendlich?

Sie muß das natürlich in jedem Sinn sein. Allerdings liegt der Akzent auf der Intersubjektivität, weil Seinsbedeutungen für jeden gelten und nicht zuerst subjektiv erfahren, weltlich ausgetestet oder ereignishaft ausgehalten werden.

Und was wäre noch einmal intersubjektive Unendlichkeit ganz genau?

Intersubjektiv stellen wir uns immer eine Grenze, einen Grenzwert vor, wenn wir Unendlichkeit uns begreiflich machen wolle, weil Möglichkeit intersubjektiv immer auch eine Wahrscheinlichkeit impliziert, weil Offenheit als Wahrscheinlichkeit eine Grenzbeliebigkeit bedeutet, die ihrerseits als Unendlichkeit die Richtung eines Regresses hat: Es kann in eine bestimmte Richtung beliebig weitergegangen werden, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren, aber auch ohne es jemals endgültig zu erreichen.

Die spezifische Unendlichkeit der Begriffslandkarte wäre also eine Regreßrichtung?

Ja, und zwar in dem Sinn, daß mit der Richtung noch nicht das Ziel vorgegeben ist, denn wie weit in einer Richtung gegangen werden kann, das wird von der Richtung selbst nicht bestimmt. Das Richtungsziel steht zwar vor Augen, dem Regreß aber ist nur eine unendliche Annäherung, keine endgültige, abschließende möglich.

Als was hätte man dann analog zur geographischen Landkarte den Außenrahmen der Begriffsbildkarte zu verstehen?

So wie eine Landkarte von Europa Europa darstellt, so die Begriffsbildkarte die Wirklichkeit. Für die Wirklichkeit gibt es keine Grenzen und Vorschriften, zu ihr gehört alles, was "ist" und als solches auch sein kann. In diesem Sinn ist der Außenrahmen das Unendliche als Unbestimmbarkeit überhaupt. Die Begriffslandkarte kann alles abbilden, was bestimmbar ist.

Aber als was haben wir genau die Bestimmbarkeitsgrenze zu verstehen?

Im intersubjektiven Sinn der Unbestimmbarkeit, die im analysierenden Bedeutungsregreß überall als Endrichtung vor Augen steht, selbst aber nur Annäherung erlaubt, nie Ankommen.

Gibt es dafür ein Beispiel?

Wenn wir z.B. die zehnte Bedeutungsebene von Wirklichkeit als Sein im Begriffsbild des Paradoxen seinerseits noch einmal auf zehn Bedeutungsebenen ausdifferenzieren wollten, dann nähertn wir uns im Bestimmten immer mehr der Unbestimmbarkeit, ohne sie ganz zu erreichen, weil ja immer noch etwas in Worten gesagt wird. Solange wir Worte gebrauchen, bewegen wir noch im Bestimmbaren, auch wenn sich diese längst auf nichts anderes als Unbestimmbarkeiten beziehen, und deshalb ganz Unverständliches ausdrücken, immer unverständlicher werden.

Wenn Unbestimmbarkeit gleichermaßen der Grenzwert ist, wie zeigt sich die Grenze praktisch?

Eben, an dem faktischen Unverständlichwerden des Bedeutungsregresses. Obwohl es dafür kein theoretisches Kriterium gibt, so merken wir es doch selbst, wenn unsere zusätzlichen Seinsbedeutungen informativ nur noch Unsinniges zusätzlich beisteuern.

Das wäre dann auch als die Basis zu verstehen, auf die sich Seinsbegriffsbilder letztendlich stützen?

Wenn dabei nicht vergessen wird, daß die Basis von Seinsbegrifflichkeit überhaupt Bedeutungen sind und keine Sinnesdaten, Urphänomene, Urzeichen, Elementarsätze, Einheitsgegenstände, apriorische Kategorien, Bewußtseinsinhalte, Elementarteilchen, Ereignisursprünge usw. Die Wirklichkeit hat Bedeutungen, und die Bedeutungen sind so vielfältig, wie die Wirklichkeit selbst. Weil die Wirklichkeitsgrenzen Bedeutungsgrenzen sind, zeigen sie sich grundsätzlich als die Unbestimmbarkeit von etwas Unhintergehbarem, die wir in dem Maß erfahren, wie unsere Bestimmungsversuche faktisch sich der Unbestimmbarkeit nähern, d.h. bis ins prinzipiell Unendliche hinein zusehends unverständlicher werden.

Ist die Begriffsbildlandkarte also dann doch kein geschlossenes System mehr?

So wie die Wirklichkeit ist sie eben beides: Der Darstellungsrahmen ist im intersubjektiven Interesse geschlossen, insofern er Bestimmbarkeit von Wirklichkeit meint. Diese Bestimmbarkeit ist aber nur eine Grenzbestimmung, insofern zum Außerhalbliegenden, der Nichtbestimmbarkeit, keine direkte Verbindung besteht. Es gibt nur den immanenten permanenten Bedeutungsregreß, von dem wir Wissen, daß er die Unbestimmbarkeit nie endgültig erreicht, diese lediglich indirekt im zunehmend eigenem Unverständlichwerden, faktisch indirekt realisieren kann. So gesehen ist die Begriffsbildlandkarte des Seins ein offenes System.

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HISTORISCHES.

Weder die Basis universaler Begriffsysteme noch die Unendlichkeit deren Verifikation waren explizite Themen der Antike. Was "ist" wurde dort nicht auf etwas bezogen, sondern als etwas benannt, und das Unendliche wurde kosmisch relativiert. Als die Pythagoräer die Zahl als Inbegriff der Wahrheit zu kosmischer Würde brachten, störte die Entdeckung der Irrationalzahlen ihre Kreise so, daß sie deren Entdecker das gerechte Todesschicksal wünschten. Platons Dialektik mündete in Ideen und nahm ihren erklärten Ausgang bei einer Sinnlichkeit, die sich im Lichte der Ideen nachträglich als undeutliches Wissen herausstellte: Erkenntnismäßig ausgerichtet geht es Platon ausschließlich um den Aufstieg auf dem Weg von der undeutlichen zur deutlichenm Erkenntnis, was diese sinnliche Basis für die Erkenntnis genau ist, hat ihn nicht interessiert. Das Unendliche bereitet ihm deswegen auch noch keine Probleme, sind doch die Ideen zeitlos gegenwärtig, der Kosmos beständig, und was man bewegungsmäßig als unendlich verstehen könnte, das ließ sich an Hand der kreisförmigen Bewegungen der Planeten als Inbegriff von Ewigkeit deuten und damit einer göttlichen Ordnung, deren Herkunft und Zukunft allenfalls noch mythisch kommentiert, nicht aber mehr erkenntnismäßig hinterfragt werden kann. Aristoteles schließt hier überall an Platon an. Die Welt als gegeben ist immer schon da, in ihr geht es natürlich zu und das Unendliche ist unnatürlich, weil es das Maß sprengt, das jedem Substantiellen eigen ist. Im Unterschied zu Platon nimmt er aber nun das sinnlich-materielle nur als als das noch Undeutliche, sondern als das Potentielle, das der Formgebung fähig ist. Die Möglichkeit des Potentiellen selbst wird nicht mehr bedacht, höchstens noch von der Existenz eines ersten Bewegers her legitimiert, Stoiker, Epikuräer und Skeptiker denken in diesen Bahnen. Was beispielsweise sich jenseits des jeweils bekannten Horizontes in Ost, West. Süd und Nord befand, war kein Fragegegenstand, und was sich jenseits des bekannten Sternenhimmels abspielen könnte, noch viel weniger, weil dort immer noch die Götter zu Hause waren.

Mit dem Christentum wechselt die Szene, weil nun alle möglichen Attribute der Unendlichkeit Gott zugesprochen werden, demgegenüber die Schöpfung als der Inbegriff von Endlichkeit die Rolle des antiken Kosmos einnimmt. Die Zeit wird jetzt mit der Bibel linear gedacht als Anfang (Schöpfungstat) und Ende (Eschatologie). Was vor der Schöpfung war und was nachher kommt, gehört zur Ewigkeit und ist bei Gott. Im Denken über die Schöpfung kommt das Unendliche nicht mehr vor, von Anselm von Canterbury angefangen aber bis hin zu Descartes noch dient das Unendlich als Argument für einen Gottesbeweis: Weil es das Unendliche gibt, muß es Gott geben. Immerhin zeigt sich dabei, daß das Mittelalter das Unendliche beginnt, ernst zu nehmen. Da man noch nicht gezwungen ist, die gegebene Schöpfung durch Reduktion auf eine Basis ausweisen zu müssen, kann man auch frei diese Schöpfung in unterschiedliche Begriffsysteme bringen: Indem amn als Gottes Schöpfungseinheiten in der aristotelischen Tradition vermeint Weseneinheiten zu erfassen, kann man es sich erssparen, nach den Voraussetzungen dieser Wesenheiten zu fragen, denn diese Voraussetzungen sind nichts anderes als der Stoff, den Gott gewählt hat, um ihm seine himmlische Prägung zu geben. Als Nikolaus von Kues und Giordano Bruno entdecken, das die Welt (Schöpfung) unendlich ist, und dies als Befreiungserlebnis verkünden, war das Mittelalter zu Ende. Von jetzt ab mußte man mit der Unendlichkeit der Welt fertigwerden und sich dafür eine Basis suchen, die nicht simpel lediglich der Bibel oder dem Aristoteles zu entnehmen war. Es galt jetzt, die Endlichkeit des eigenen Standpunktes vor einer Unendlichkeit zu rechtfertigen, die nicht mehr von sich her fraglose Antworten gibt. Die moderne Naturwissenschaft seit Galilei schien dazu den Weg zu weisen. Von nun an war Intersubjektivität angesagt, zu trügerisch erschienen jetzt die traditionellen Antworten der Philosophen im Licht eines neuen Wissens, das experimentell kontrollierbar war und sich nachweisbar als verläßlich herausstellt.

Von nun an versuchte der angelsächische Empirismus bis hin zu Hume, begriffliches Wissen auf Wahrnehmung zu gründen, die kontinentalen Metaphysiker von Descartes bis Leibniz versuchten erneut an Platon anzuknüpfen und das Sinnliche umgekehrt auf der Basis einer verdeutlichenden Rationalität seiner Vordergründigkeit zu überführen. Mit Kants Devise, Begriffe ohne Anschaaungen seien leer, Anschauungen aber ohne Begriffe blind, begann dann das, was Jürgen Habermas Bewußtseinsphilosophie nennt, mit der unausweichlichen erkenntnistheoretischen Konsequenz, daß nun die Wechselbeziehung zwischen Sinnlichkeit und der Verstandeswelt der Begriffe zur permanenten Interpretationsaufgabe wurde. Die realistischen Schulen versuchten die Beziehung zur Sinnlichkeit hin aufzulösen, die idealistischen hin zu apriorischen Denk- und Bewußtseinsstrukturen, zu einer befriedigenden Basisklärung konnte es aber mangels vorurteilsoser Beachtung der Bedeutungsvermittlungen keine der beiden Richtungen bringen. Der Vermittlungsversuch Hegels, kraft dialektischer Seinsentfaltung die ganze Erkenntnisproblematik in ein absolutes Wissen zu transformieren und damit aufzuheben, mußte scheitern, weil auf diese Weise die Erkenntnisfrage nur dogmatisch, nicht aber faktisch stillgestellt werden konnte.Wer hartnäckig an disem Scheitern vorbeisehen wollte, wie etwa ein Jügern Habermas,träumte dann weiter vom Übergang einer sogenannten Bewußtseinsphilosophie zur Dominaz der Intersubjektivität, die durch den vielbeschriebenen "Linguistic-turn" seit Frege, Peirce und Wittgenstein derart zustande gebracht worden sein sollte, daß nunmehr die Wahrheit für deren Garantie die Basis sein sollte. Was aber sind wahre Aussagen? Weil niemand in der Lage war, Wahrheit "in Wirklichkeit" zu definieren, beließ man es bei unterschiedlichen Wahrheitstheorien, deren Wahrheit und Falschheit natürlich anderwärts gesucht werden mußte. Das ganze mündete notwendigerweise in einen selbstwiderssprüchlichen Prozeß, von dem die Hauptakteure nur sehr widerwillig bereit waren, sich ganz allmählich Rechenschaft zu geben.

Seit dem Zusammenbruch des Deutschen Idealismus sucht eine mehr naturwissenschaftlich ausgerichtete sogenannte Analytische Philosophie nach Ankerpunkten der erklärenden Erkenntnis in der Welt, eine mehr lebens- und geisteswissenschaftliche sogenannte hermeneutische Richtung nach der Erkenntnis von Ankerpunkten des Verstehens in biographischen Erlebnissen, sprachlichen Voraussetzungen, dialogischen Zusammenhängen und geistigen Texten. Seitdem spätestens mit Ludwig Wittgenstein und Donald Davidson feststeht, daß es keine bedeutungsfreie sinnliche Basis für das Erkennen geben kann, ist die Basissuche der Analytiker an ihr natürliches Ende gelangt, um schließlich einem neuerlichen Pragmatismus Platz zu machen, der sich auch für hermeneutische Fragestellungen öffnet. Und spätestens seitdem die Diskursphilosophie die argumentativen Voraussetzungen der Hermeneutiker explizierte, begann das philosophische Zeitalter der Postmoderne. Weder der erneuerte Pragmtismus noch die Postmoderne beschäftigen sich noch ernsthaft mit Basisproblemen. Nachgelassen hat auch das Interesse an Begriffen: Wo sowieso alles relativ und perspektiveabhängig ist, kommt es nur noch auf Zweckmäßigkeitsfestlegungen an. Alles nur Technische oder Strategische kann den Fachdisziplinen überantwwortet werden,der Philosoph versteht sich als Hüter des Allgemeinen, und in dieser Rolle gilt es Vorurteile aufzulösen, nicht neue zu suggerieren.

Damit erledigt sich für die meisten Philosophen auch die Herausforderung des Unendlichen, die von Nikolaus von Kues bis Kant die Gemüter noch so stark erregen konnte. Nachdem die Einzelwissenschaften gelernt haben, für ihre eigenen Zwecke mehr oder weniger erfolgreich mit dem Begriff des Unendlichen umzugehen, - (die Mathematiker von der Infinitesimalrechnung Newtons und Leibnizens bis zur Mengenlehre Cantors, die Logiker seit Gödel und Tarskis Wahrheitssemantik, die Physiker seit Einstein, Heisenberg und Feynman bis zu den Stringtheoretikern, die Biologen seit der Entedckung der genetischen Grundlagen des Lebens, die Informatiker seit Norbert Wieners Kybernetik usw) - und die Philosophen sich des lästigen Basisproblems entledigten, scheint das Unendliche keine ernsthaftes Problem mehr darzustellen. Das heißt aber nicht, daß es gelöst ist oder daß über den Begriff des Unendlichen Übereinstimmung erzielt werden konnte. Das Problem hat sich lediglich erledigt, weil das Interesse dafür geschwunden ist. Nur dies ist der Grund. Die Zeiten können auch wieder wechseln.

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Letzte Änderung dieser Seite: 04.07.2003