Über
die Bedeutung der Wirklichkeit Wenn immer sogenannte Philosophen von heute oder gestern das Wort "wirklich"
für sich in Anspruch nehmen, das außerhalb der deutschen Sprache
so keine Entsprechung findet, verwenden sie es entweder im Sinn einer subjektiven
Affirmation, die nicht weiter begründet ist, oder aber als ein Argument,
das nur im Rückgang auf des Autors eigene Philosophie begründet
werden kann. Aber wer sagt, daß des Autors eigene Philosophie sich so
auf "Wirklichkeit" bezieht, daß keine offfene Fragen bleiben?
Es hat sich ja, was zu zeigen ist, bis heute noch kein Philosoph dem Sinn
von Wirklichkeit als einem Letztbegriff explizit gestellt.
Die folgenden Erläuterungen versuchen analytisch zu zeigen, was wir mit
"Wirklichkeit" so meinen, daß jeder die Chance hat, zu widersprechen.
Es gibt schwerlich ein substantielles Argument, das die These widerlegt, daß
der Sinn von "Wirklichkeit" auf irgend etwas sonst noch reduziert
werden kann. Aber was sind die deduktiven Bedingungen, die es uns erlauben,
intersubjektiv evident von einer Bedeutung der Wirklichkeit zu sprechen? Läßt
sich "Wirklichkeit" überhaupt zweifelsfrei definieren?
Das Argument
"Wirklichkeit" (im deutschen Wortsinn) allein ist nicht mehr hinterfragbar,
weil ein "Nichtwirkliches" einzigartig unnegierbar ist: Entweder
die Negation der Wirklichkeit ist etwas Wirkliches im außerwirklichen
Sinn - was immer das sein mag - , oder aber sie ist sinnwidrig: Etwas Unwirkliches
ist entweder etwas, was mit "Wirklichkeit" keinerlei Gemeinsamkeit
hat, oder es ist einfach ein Selbstwiderspruch, weil auch das Nichtwirkliche
irgendwie wirklich sein muß, um überhaupt etwas zu sein. Wie soll
auch etwas, dessen Wirklichkeit bestritten wird, irgendwie etwas anderes sein
können, als ein so oder so Wirkliches? Wenn Nichtwirkliches kein Wirkliches
mehr wäre, müßte Wirklichkeit hinterfragbar sein. Welche Möglichkeit
aber haben wir, die Wirklichkeit der Wirklichkeit so zu hinterfragen, daß
dabei auf etwas Bezug genommen werden könnte, das hinter der Wirklichkeit
überhaupt liegt, weil es glaubhafter Weise wirklicher ist als die Wirklichkeit?
Die Alternativen
Nur "Wirklichkeit", (im, deutschen Sprachgebrauch) ist nicht mehr
ohne Selbstwiderspruch hinterfragbar, beim "Sein" bleibt immer noch
ein "Nichts", an dem sich z.B. Martin Heidegger sein Leben lang
abgearbeitet hat. Bei "Wahrheit" gibt es jederzeit die Unwahrheit,
die nicht wegdiskutiert werden kann. Vorstellen kann man sich außerdem
eine Welt, die leer ist, eine Ereignishaftigkeit, die still steht, eine Intersubjektivität,
die Irrational wird und eine Subjektivität, die verschwindet, ganz abgesehen
von einer Realität, der die Irrationalität entgegensteht, von einer
Notwendigkeit, die das Mögliche nicht ausschließen kann und einer
Gegebenheit, die immer mit dem Abwesenden rechnen muß. Es gibt keinen
weiteren Begriff als "Wirklichkeit", weil alles, was überhaupt
"ist", d.h. als ein "Etwas" identifiziert werden kann,
igendwie in die Wirklichkeit tritt, und sei es auch nur in die des bloß
Gedachten. Alles Gedachte ist jeweils wirklich in seinem Dasein. So auch alles,
was heute postmodern irgendwie als Unhintergehbarkeit von Differenz beschworen
wird: Es gibt keine Differenz, die sich nicht schon zuvor einem Wirklichen
verdankte!
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Die Beweislast (1) Opponent der Opponent, der die These, der Sinn von "Wirklichkeit" sei
als Begriff nicht mehr hinterfragbar, bezweifelt, muß etwas nachweisen,
was Wirklichkeit konstitutiv implizieren kann. Logisch heißt das. daß
die Bedeutung eines Begriffs gefunden werden muß, die inhaltlich weiter
ist als jene, die mit dem Wort "Wirklichkeit" verknüpft ist
Solange diese Begriffsbedeutung nicht gefunden ist, bleibt es bei "Wirklichkeit"
als dem Letztbegriff. Methodisch gilt in diesem Fall Poppers Falsifikationsprinzip,
insofern es vom schlechthin Unbedingten niemals eine notwendigerweise bedingte
Verifikation oder theoretische Ableitung geben kann, immer nur die Suche nach
dem Selbstwiderspruch in seiner Behauptung. Die Beweislast (2) Proponent Umgekehrt trägt der Proponent der These, die Wirklichkeit sei nicht
mehr hinterfragbar, die Beweislast dafür, was mit dem Wort "Wirklichkeit"
in einem intersubjektiv evidenten Sinn gemeint ist, wenn diese nicht mehr
hinterfragbar sein soll. Denn als unhinterfragbar kann alles überhaupt
und dementsprechend auch nichts eindeutig Bestimmtes vorgestellt oder unterstellt
sein, wenn nicht zugleich genau angegeben werden kann, was in einem spezifischen
Sinn mit "Wirklichkeit = Alles" gemeint ist. Wenn "Wirklichkeit"
nicht mehr hinterfragbar ist, dann muß auch zugleich angegeben werden
können, als was "Wirklichkeit" nicht mehr hinterfragbar ist,
wenn die Behauptung überhaupt eine sein soll, weil sie auf etwas Bestimmtes
bezogen werden kann. Insofern ist das Argument, die Wirklichkeit sei nicht
hinterfragbar, nur stimmig, wenn zugleich angegeben wird, was mit "Wirklichkeit"
sinngemäß so gemeint ist, daß nachvollzogen werden kann,
von was überhaupt in einem identifizierbaren Bezug die Rede ist.
-------------- Der Beweisgang
Wirklichkeit, die nicht mehr hinterfragbar ist, meint alles das, was unser
Vorstellungsvermögen von Wirklichem konstituiert. Was überhaupt
für uns wirklich werden kann, ist etwas Bestimmtes, das einer Einheit
entspricht. Als Inbegriff dieser Einheit setzen wir einmal die Welt als den
Ort der Wirklichkeit, denn ohne sie wüßten wir überhaupt nicht,
wovon überhaupt zu sprechen sei. Wir müssen aber auch das Subjekt
als den Adressat der Wirklichkeit voraussetzen, denn ohne es bliebe ganz offen,
was "Welt" bedeuten soll. Wir müssen auch das Ereignis als
den Vorgang der Wirklichkeit unterstellen, denn ohne ein solches, könnte
kein Subjekt in seiner Welt von einem Objekt Kenntnis haben. Wir müssen
weiter Intersubjektivität als Repräsentation von Wirklichkeit annehmen,
denn ohne diese, z.B. Wort, Sinn und Begriff von "Wirklichkeit"
könnte nichts, was sich in der Welt ereignet, für unteschiedliche
Subjekte identisch mitteilbar und verständlich erörterbar werden.
Wir müssen schließlich das Sein als die identisch denkbare Einheit
der genannten Wirklichkeitsaspekte voraussetzen, denn ohne die Identifierbarkeit
von etwas, das "ist", gäbe es keine Möglichkeit, in der
Fülle der Begebenheiten und Gegebenheiten zwischen "wahr" und
"falsch" zu unterscheiden. Das, was "ist", ist die Wirklichkeit
in einem für uns identifizierbaren und deshalb auch vergleichbaren und
entscheidbaren Sinn. Was nicht identifizierbar ist, kann wirklich sein, aber
nicht so, daß wir uns damit rational auseinandersetzen könnten.
Das "Sein" der Wirklichkeit ist die im Begriff gefasste Wirklichkeit
überhaupt als das Allgemeine jenes Wirklichen, wie es vorgängig
konkret z.B. Forschern im innerweltlichen Erkenntnisprozeß begegnet,
Handelnden in ihren situationsbezogenen Entscheidungsprozessen, Erlebenden
in ihren eigenen seelischen Zuständen oder Mitwesen in ihren unerschiedlichen
kommunikativen Erfahrungen. Daß das je konkrete Wirkliche allgemein
gedacht werden kann, so daß wir von "der Wirklichkeit" handeln
können, verdanken wir unserer Fähigkeit, das Sein von etwas wie
allem zu begreifen. Die Wirklichkeit ist immer für uns Sein, aber eben
nicht nur. Wirklichkeit wird uns zum Sein, wenn wir sie objektivierend denken,
sie bleibt ursprünglich unbegreiflich gegeben, wenn wir das Denkbare
unmittelbar erfahren.
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